Ungeheuer
die beiden Männer ansahen.
»Denken Sie das, was ich denke?« Jo sprach als Erster. »Der Typ war gestern Abend schon hier und hat an Laras Computer etwas geschrieben! Deshalb wurde die geänderte Seite an die Techniker gesendet! Lara hat ihm gesagt, wie es gemacht wird, und er hat es versucht.« Bei den letzten Worten dämpfte er seine Lautstärke und schielte in Richtung Tür.
»Ich fürchte, Sie haben recht.« Marks Worte waren kaum zu verstehen, so leise hatte er gesprochen. »Ich hätte schon längst selbst darauf kommen müssen, aber die Sorge hat mir den Verstand vernebelt.«
»Das Schwein war hier in der Redaktion. Womöglich sogar mit Lara im Schlepptau!« Jo schlug sich die Faust an den Kopf, hielt dann inne und starrte sein Gegenüber mit weit geöffneten Augen an. »Glauben Sie, er wird heute Abend wiederkommen, um es noch mal zu versuchen, da es gestern nicht geklappt hat?«
Mark blieb stumm und zwang sich, die Alternativen sachlich gegeneinander abzuwägen, auch wenn das Blut in seinen Adern rauschte und das Herz in der Brust holperte. Ganz abwegig war der Gedanke des Fotografen nicht. Dieser sprudelte indessen weitere Sätze heraus: »Wir könnten uns hier
auf die Lauer legen und ihn erwischen! Er muss Laras Schlüssel haben. Und ihr Passwort. Das bedeutet doch, dass sie noch lebt! Womöglich bringt er sie wieder mit!«
Mark schwieg noch immer. Was der Fotograf eben gesagt hatte, war nicht unbedingt logisch. Wenn der Täter alle Informationen von Lara bekommen hatte, brauchte er sie nicht mehr. Die Frage war nur: Traf diese Annahme zu?
»Habt ihr Probleme?« Von beiden unbemerkt war Friedrich in der Tür aufgetaucht.
»Nein, nein. Wir haben gerade über einen gemeinsamen Bekannten gefachsimpelt.« Mark lehnte sich zurück und versuchte ein gelassenes Lächeln. Es misslang.
»Habt ihr Hubert denn erreicht?«
»Bis jetzt noch nicht.« Jetzt sah auch Jo hoch. Sein Gesicht war hochrot.
»Na gut. Christin ist grad gekommen. Sie macht heute den Spätdienst bis einundzwanzig Uhr, und ich verschwinde jetzt.« Friedrich bleckte die Zähne zu einem schiefen Grinsen, winkte und verschwand.
Jo sprang auf, lief zur Tür und spähte hinaus, um sich zu vergewissern, dass der Kollege nicht mehr in Hörweite war. Zurückgekommen nahm er mit durchgedrücktem Rücken auf der Stuhlkante Platz. »Also denken Sie nun auch, dass der Typ heute nach Redaktionsschluss noch einmal hierherkommt?«
»Es könnte sein.« Mark war sich nicht sicher, aber eine geringe Wahrscheinlichkeit bestand tatsächlich.
»Also bleiben wir hier und warten auf ihn?« Der Fotograf wischte sich mit dem Hemdärmel die Schweißperlen von der Stirn und betrachtete dann sein Handy. »Oder was könnten wir sonst noch unternehmen?«
»Nichts, was sinnvoll wäre. Ich schlage vor, wir planen genau, wie wir uns verhalten werden, falls er tatsächlich auftaucht.
Und ich habe ein paar Anrufe zu erledigen.« In Marks Kopf wirbelten mehrere Gedankengänge gleichzeitig durcheinander. Warum nahm der Fotograf solch großen Anteil an Laras Geschick? Hatte er etwas mit ihr? Gleichzeitig sah er vor seinem geistigen Auge das hölzerne Gesicht von Kriminalkommissar Stiller. Vielleicht zeigte die Kripo nach den neuesten Erkenntnissen nun doch Interesse, sich an der Suche nach der verschwundenen Journalistin zu beteiligen. Mark glaubte nicht daran, aber er wollte nichts unversucht lassen.
Nach seiner Analyse des Täterverhaltens existierte die Möglichkeit, dass Lara noch am Leben war, weil dieser Mann sie noch brauchte. Mark konnte jedoch nicht einschätzen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit dafür war. Er wandte den Blick von den Kratzern auf der Tischplatte und betrachtete das immer noch hochrote Gesicht von Joachim Selbig, während in seinem Kopf Sätze aus der Charakteristik planender Täter aufflammten und wieder verloschen wie eine defekte Neonreklame. Gleichwohl besteht immer die Gefahr der Tötung des Opfers, denn schon ein geringer Anlass kann die Aggressivität des planenden Täters abrupt steigern. En planender Täter weist meist ausgeprägt sadistische Züge auf, er genießt die Angst seines Opfers, er genießt es, die Steigerung dieser Angst mitzuerleben, er genießt die Eskalation.
Doctor Nex hatte ein Déjà-vu. Wie ein silbriger Schatten zirkelte der Ford um die engen Kurven. Wenn er jetzt noch die gleiche Parknische wie gestern fand, war die Täuschung perfekt.
Der Platz war besetzt.
Er rangierte den Wagen in eine Lücke zwischen zwei
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