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Ungeheuer

Ungeheuer

Titel: Ungeheuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Puhlfürst
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Betonpfeilern, an deren Seiten farbige Striemen darauf hindeuteten,
dass andere Fahrer es nicht gelernt hatten einzuparken, und rollte den Gedanken, ob das ein schlechtes oder ein gutes Omen war, in seinem Kopf hin und her. Nach der gestrigen Vorgehensweise war sein Vorhaben gescheitert. Lief heute alles exakt gleich, konnte das ein erneutes Fehlschlagen bewirken. Dies hier war ein erster Unterschied. Er murmelte »Gutes Omen«, zog den Schlüssel ab, öffnete die Autotür und schloss sie sofort wieder.
    Kindergeschrei rasselte heran, prallte auf die steinernen Wände, brach sich und hallte zurück. Gleich darauf bog ein Pärchen um die Ecke, jeder mit mehreren Plastiktüten beladen, im Schlepptau zwei kreischende Bälger im Kindergartenalter, die wie Hüpfbälle auf und ab sprangen und dazu erbärmlich krakeelten. Im Näherkommen sah er, dass die Eltern  – so sie es denn waren – selbst noch im Teenageralter zu sein schienen: sie mit billigen Stöckelschuhen und zu kurzem Rock, über dessen Bund zwei Speckfalten quollen, die Haare aufgepeppt mit schlecht gemachten roten Strähnchen. Er latschte mit abgetretenen Turnschuhen einen Schritt hinter ihr, die Jeans ausgefranst, auf dem T-Shirt prangte das obligatorische Logo einer amerikanischen Eliteuniversität.
    Doctor Nex rutschte im Sitz nach unten, während das Proletenpärchen zu dem blauen Skoda zwei Parkplätze neben seinem Ford marschierte und damit begann, den Kofferraum mit den mitgebrachten Tüten zu beladen. Die Kinder spielten unterdessen zwischen den Autos Fangen, und er sinnierte, ob er in der Lage wäre, sich zu beherrschen, wenn solch ein rotznäsiges Balg ihm im Eifer des Gefechts einen Kratzer am Auto verpasste.
    Das kleine Auto erinnerte ihn an den Mini Cooper von Lara Birkenfeld. Er lächelte, und seine Gedanken schweiften für einen Moment zu der Journalistin und ihrem traurigem
Schicksal, während er das Tun der Eltern und ihrer unerzogenen Kinder weiter beobachtete.
    Es dauerte schier endlose Minuten, bis sie endlich alle im Wagen saßen und davonfuhren. En zweiter Unterschied zu gestern.
    Doctor Nex betrachtete sein Gesicht im Rückspiegel. Die dunkle Sonnenbrille in Kombination mit dem perlgrauen Anzug ließ ihn wie einen Mafiaboss aussehen. Niemand würde Parallelen zu dem stinkenden Penner ziehen, der vor ein paar Tagen in der Redaktion der Tagespresse gewesen war. Er öffnete die Fahrertür, lauschte, stieg dann aus und wartete noch ein paar Sekunden. Absolute Ruhe.
    Es konnte losgehen.
    Sein Puls beschleunigte sich. Er tastete kurz nach dem Speicherstick in seiner Hosentasche und marschierte dann los.
     
    Alle Fenster des Gebäudes waren dunkel. In einer Lokalredaktion arbeitete man spätabends nicht. Mit schnellen Schritten lief Doctor Nex zuerst an der Eingangstür vorbei bis zum nächsten Haus, drehte sich dann abrupt um, rieb sich die Stirn, als habe er etwas vergessen, ging langsam wieder zurück und musterte dabei unauffällig die Umgebung. Es war niemand zu sehen.
    Lautlos drehte sich der Schlüssel im Schloss. Die mächtige Tür schwang auf, und der Mann im grauen Anzug verschwand im Innern des Hauses. Nachdem die Tür sich ebenso lautlos wieder geschlossen hatte, blieb er stehen und spitzte die Ohren. Völlige Stille. Er zählte, atmete die trockene Luft im Takt: bei den ungeraden Ziffern ein, bei den geraden aus. Es war nicht völlig finster. Treppen und Geländer schälten sich allmählich aus der Dunkelheit hervor.

    Neunundzwanzig – ein. Dreißig – aus. Und los! Doctor Nex setzte den Fuß auf die erste Stufe und begann, von vorn zu zählen.
    Die Redaktionsräume, in denen Lara arbeitete – er berichtigte sich –, gearbeitet hatte, lagen im zweiten Stock. Nach jedem Schritt blieb er stehen, lauschte ein, zwei Sekunden und erklomm die nächste Stufe. Auf halbem Absatz wartete er exakt bis zwanzig. Noch einmal zwanzig und er wäre in der ersten Etage.
    Das Zeitfenster war eng. Dieses Mal musste es gelingen, sollte der neue Text am nächsten Tag sicher in der Tagespresse abgedruckt sein.
    Er hob den rechten Fuß und erstarrte. Aus den oberen Stockwerken war ein leises Geräusch zu hören. Kleine Muskeln zogen seine Kopfhaut am Haaransatz nach hinten. Auf den Unterarmen sträubten sich alle Härchen, stießen gegen den Hemdenstoff, verursachten ein feines Kribbeln.
    Es hatte sich angehört, als ob etwas umgefallen war. Oder umgestoßen wurde. Von jemandem, der da oben auf ihn wartete. Ohne es zu merken, schob er das

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