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Ungeheuer

Ungeheuer

Titel: Ungeheuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Puhlfürst
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zerrte sie das Gelenk aus der Fessel. Die rechte Hand war frei, doch durch die heftige
Bewegung war der Rollstuhl ins Schlingern geraten, trudelte kurz auf zwei Rädern und kippte dann um.
    Lara sah in Zeitlupe den roten Lack des Radkastens auf sich zukommen, registrierte eine tiefe Delle, dann schrammte ihre Wange am Blech entlang, und sie prallte auf den harten Boden, den eben erst befreiten rechten Arm unter dem Rad das Rollstuhls eingeklemmt.
    Im ersten Augenblick bekam sie keine Luft, dann rollte Zorn über ihre Ungeschicktheit wie eine Welle über sie hinweg. Auf der Seite liegend, an diesen unsäglichen Rollstuhl gekettet, würde sie nie an die Fahrerkabine herankommen.
    Jetzt heulte sie wieder. Träne für Träne rollte aus den Augenwinkeln, glitt über die Wange seitlich zum Ohr hin, tropfte herab und sprenkelte den staubigen Boden dunkel.
    Sie war so unendlich müde. Der ganze Körper schmerzte, die erschöpften Muskeln schrien nach Ruhe, nur ein paar Minuten, dann würde es weitergehen, irgendwie. Lara schloss die Augen und öffnete sie gleich wieder. Ihr Rollstuhl war am Hinterrad vorbei zur Rückseite des Traktors gekippt. Im Halbdunkel zwischen den riesigen Rädern glänzte schwarzgraues Metall im Dämmerlicht. Sie kniff die Lider zusammen, versuchte, dem unscharfen Gebilde eine Bedeutung zuzuordnen.
    Es dauerte eine Weile, bis sie erkannte, dass die Streben eine Art einfache Anhängerkupplung darstellten. Zwei zu einem Dreieck verschweißte Stützen, dazwischen ein langer Metallstift, der an einer Kette hing. En Metallstift war besser als gar nichts. Sie konnte ihn als Waffe benutzen, wenn der Irre zurückkam, oder die Fesseln damit bearbeiten. Vorsichtig versuchte Lara, ihre rechte Hand unter dem Rad des Rollstuhls hervorzuziehen, aber die Finger steckten zwischen den Speichen fest. Sich krümmend versuchte sie, den Rollstuhl zu
verrücken, aber das Monstrum rührte sich keinen Millimeter von der Stelle. Die Hinterreifen des Traktors strömten einen Geruch nach vulkanisiertem Gummi aus, von dem Lara übel wurde. Nur wenige Zentimeter entfernt davon hing der metallene Stift an der Kette. Das sanfte Baumeln schien sie zu verhöhnen. Inzwischen war es fast völlig dunkel geworden.
    Lara beschloss, es noch einmal zu versuchen, und spannte alle Muskeln an, was zur Folge hatte, dass ihr Rücken sich in einem endlos scheinenden Krampf verhärtete. Sie würde eine Pause einlegen müssen, damit der geschundene Körper wieder zu Kräften kam, sich ein wenig ausruhen, um es dann mit frischen Kräften erneut zu versuchen. Nur für eine Minute die Augen schließen und sich sammeln.
    Ihr Gesicht entspannte sich. Dann sank der Kopf zur Seite. Lara schlief.

33
    Jo fuhr, das Handy am Ohr, dicht auf Marks Audi auf und ließ sich dann wieder zurückfallen. Mark schlug die Handfläche auf die Hupe . Der Opa im Nissan vor ihm zuckelte mit vierzig Stundenkilometern durch die Stadt und ließ sich nicht beirren. Der Opa bremste. Mark hörte sein eigenes lautes Fluchen und rief sich zur Räson. Erregung verhinderte logisches Denken. In ihren Blechbüchsen vergaßen die Menschen oft ihre Manieren und verfielen in Verhaltensweisen von Neandertalern. Drei Sekunden nach diesem Gedanken hatte er das Insistieren seines Psychologenverstandes schon wieder vergessen.
    Der Nissan bog ab, und Mark und Jo beschleunigten synchron.
Fünf Minuten später hielten beide in der Fußgängerzone vor dem Redaktionsgebäude. Zwei Autotüren fielen ins Schloss.
    »Haben Sie ihn erreicht?«
    »Nein.« Jo rannte fast. »Macht wahrscheinlich längst Feierabend.«
    »Mist.« Mark hetzte hinter dem Fotografen nach oben und betete, Jos Kollege Hubert möge noch in der Redaktion sein.
    Die Erkenntnis, dass der Serienmörder sich als Penner verkleidet zur Tagespresse begeben haben musste, um dort persönlich herumschnüffeln zu können, hatte ihn getroffen wie ein greller Blitz.
    Das erklärte auch, woher der Mörder inzwischen wusste, wer »LB« war. Der Mann hatte Lara am Freitag mit eigenen Augen gesehen, und so wäre es ihm ein Leichtes gewesen, ihr später zu folgen und sie in seine Gewalt zu bringen. Auf der Fahrt hierher waren die Gesichter der Opfer durch Marks Kopf gewirbelt. Lara war jung, hübsch und hatte lange blonde Haare. Sie entsprach genau dem Beuteschema des Täters.
    Jo stieß die Eingangstür zu den Redaktionsräumen auf. Er blieb kurz stehen, keuchte leise, sah sich um und verschwand im Nebenzimmer. Mark folgte ihm wortlos. Sein Herz

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