Ungeheuer
Kaffee mit ihr treffen. Danach würde er zurück nach Berlin fahren. Zurück zu seiner Frau und den beiden Kindern. Lara warf den Speicherstick in ihre Handtasche. Sie hatte ein schlechtes Gewissen wegen der Aufzeichnungen, beruhigte sich aber mit dem Vorsatz, dass niemand außer ihr die Notizen zu Gesicht bekommen würde.
»Können wir denn sonst noch irgendetwas unternehmen? Potentielle Opfer warnen?« Das Gefühl der Unzulänglichkeit in Lara wollte einfach nicht nachlassen. Von der erneuten Vision mit dem Skalpell und der Ginflasche gestern Nacht hatte sie Mark auch noch nichts erzählt. Sie stellte den Kaffee beiseite. Er war schal und bitter.
»Momentan leider nicht. Es ist alles sehr vage, und unsere Vermutungen sind nicht bewiesen. Ich versichere dir aber, dass ich gleich morgen früh alles mit der Bitte, es als dringlich einzustufen, weiterleite. Man wird sich darum kümmern, da kannst du sicher sein. Und du behältst bitte das, was wir gestern besprochen haben, für dich.«
»Das habe ich dir doch gestern schon versprochen, Mark.«
»Ich weiß. Ich wollte es nur noch einmal gesagt haben.
Wenn ich dir nicht vertrauen würde, hätte ich dir die Informationen gar nicht gegeben.«
Eigentlich habe ich dich weichgekocht. Den Satz behielt Lara lieber für sich. »Denkst du, dass er schon ein nächstes Opfer im Visier hat?« Sie schaute nach draußen und kniff die Augen zusammen.
»Möglich ist es. Nach den Tatmerkmalen zu urteilen, ist das hier kein Täter, der nach zwei Opfern einfach so aufhört. Was ich nicht kenne, sind die Ursachen, die zu dieser Eskalation geführt haben. Soweit ich ermitteln konnte, gab es ähnlich gelagerte Fälle in den letzten Jahren weder in Deutschland noch im benachbarten Ausland. Wenn es ein Serientäter ist, hat irgendein Auslöser ihn dazu gebracht, seine Fantasien jetzt in die Wirklichkeit umzusetzen, oder er hat vorher in einem anderen Land gelebt und dort gemordet, ohne dass wir es wissen. Die dritte Variante könnte sein, dass er im Knast saß. Darüber kann man momentan nur spekulieren, und das tue ich ungern. So leid es mir tut, Lara –«, jetzt sah er sie direkt an, »wir können derzeit gar nichts unternehmen.«
Wir warten also auf die nächste Leiche. Lara sprach auch diesen Satz nicht laut aus.
Mark sah auf seine Armbanduhr. »Morgen telefonieren wir wieder. Ich rufe dich gegen Abend an. Vielleicht finde ich noch etwas Neues heraus.«
Lara winkte und ließ die Hand dann sinken. Marks Auto beschleunigte, dann bog er um die Ecke und war verschwunden. Sie blieb noch einen Augenblick so stehen. Sacht erwärmte die Abendsonne Kopf und Schultern. En Marienkäfer surrte heran und setzte sich direkt neben ihr auf einen Vorsprung in der Mauer. Das entfernte Knattern eines Mopeds unterstrich die Stille noch. Bratenduft drang aus irgendeinem der Fenster.
Die perfekte Vorstadtidylle. Und doch ließen irgendwo zur gleichen Zeit Mütter ihre Kinder verhungern, vernichteten Brände Leben und Existenzen, war ein Mörder auf der Suche nach seinem nächsten Opfer.
Während Lara den Schlüsselbund klimpern ließ und dabei abwesend feststellte, dass sich an der Spitze der Sonnenblumenpflanzen nebenan schon Blüten bildeten, riss lautes Hupen sie aus ihrer Versunkenheit. Mit offenem Mund beobachtete sie, wie ein eisblauer Audi heranrauschte, vor ihrem Haus anhielt und Mark heraussprang. Er warf die Tür zu und drückte im Heranhasten auf die Fernverriegelung. Hatte Lara zuerst noch gedacht, er habe etwas vergessen, belehrte sie sein Gesichtsausdruck eines Besseren. Es musste etwas Schlimmes passiert sein.
»Was ist denn …«
»Lass uns ins Haus gehen. Ich möchte das nicht hier draußen besprechen.« Die Tür klappte hinter ihnen zu, und sie standen in der Dämmerung des Hausflurs.
»Ich habe Autoradio gehört, wegen der Staumeldungen.« Mark sprach gehetzt. »Gerade kam in den Nachrichten, dass eine verstümmelte weibliche Leiche gefunden wurde. In einem Forst nahe Regensburg.«
18
»Du sollst gleich zum großen Meister kommen.« Toms Finger zuckten über die Tasten. Jetzt sah er auf. »Du siehst ziemlich erledigt aus. Das war wohl ein anstrengendes Wochenende?«
»Was will denn der Chef?« Tom hatte recht, sie sah erledigt aus. Aber die Schlussfolgerungen, die er daraus gezogen hatte,
waren komplett falsch. Und Lara hasste ihn für sein anzügliches Grinsen.
»Ich weiß es nicht. Ich glaube aber, er ist auf hundertachtzig.«
»Das verstehe ich zwar nicht, aber
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