Ungeheuer
wusste aber nicht, ob es an Isabells affektiertem Getue oder an etwas anderem lag.
»Und dann haben wir den Inhalt gesehen.« Hubert holte tief Luft und nahm dann noch einen Schluck aus der Flasche. Jo stand stumm daneben. Er war erst von seinem Platz aufgestanden,
um nachzusehen, was im vorderen Raum los war, als er Isabell hatte schreien hören.
»Wenn da drin wirklich ein Kopf ist«, Tom räusperte sich, »dann müsst ihr euch alles, was vorher passiert ist, wie dieser Penner aussah und so weiter, gut merken. Die Polizei braucht jede Einzelheit.«
Danke für die Belehrung, Meister. Da wäre ich jetzt nicht von allein draufgekommen. Lara drehte sich um und ging hinaus. Sie musste jetzt erst einmal an die frische Luft. Ehe er es bemerken konnte, hatte sie sich an dem Redaktionsleiter vorbei ins Treppenhaus geschmuggelt.
»Halt! Wohin wollen Sie?« Hampenmann sprang wie ein Schachtelmännchen in den Türrahmen und schrie hinter ihr her. »Sie können jetzt nicht weg! Die Polizei kommt gleich!«
»Das weiß ich. Ich bin gleich wieder da!« Lara sprang die letzten zwei Stufen hinab und öffnete die Tür. Grelles Sonnenlicht machte sie für ein paar Sekunden blind.
»Und dann haben wir die Bescherung gesehen.« Gernot Hampenmann drückte den Brustkorb heraus. Er war hier der Redaktionsleiter, und er war wichtig .
»Chef, schauen Sie mal hier!« Der Typ von der Spurensicherung hielt ein Din-A4-Blatt an einer Pinzette hoch. »Das klebte am Rand!«
Wie von einer unsichtbaren Gummischnur gezogen, schwenkten die Köpfe der Redakteure, die sich inzwischen alle um den Redaktionsleiter und die beiden Polizisten versammelt hatten, zu dem Blatt.
»Zeigen Sie mal…« Vorsichtig betrachtete Kriminalkommissar Stiller den Text, gab dreimal ein Geräusch von sich, das wie »Hrmp« klang, und machte dann seinem Kollegen ein Zeichen, den Zettel einzutüten und zu verstauen. Hampenmann
ließ enttäuscht die Mundwinkel herunterhängen, so als habe er geglaubt, man würde ihn dies erst lesen lassen.
»Ich möchte Ihre Kollegen nacheinander befragen.« Stiller schaute den Redaktionsleiter an. »Haben Sie ein Zimmer, in dem wir ungestört sind?«
»Mein Büro. Bitte sehr.« Gernot Hampenmann marschierte voran und öffnete einladend die Tür zu seinem Raum.
»Gut, dann kommen Sie als Erster dran.« Der Kommissar winkte einem Kollegen, ihm zu folgen, und drehte sich noch einmal um. »Ich rufe Sie alle nacheinander auf. Bleiben Sie bitte solange hier.« En giftiger Blick streifte Lara.
»Das war’s für heute.« Stiller entließ Christin, die ohne ein Wort zu ihrem Platz ging. Er und sein Kollege begaben sich zur Tür. »Die Spurensicherung ist schon weg?« Gernot Hampenmann, der die ganze Zeit unruhig auf einem Drehstuhl hin und her gerollt war, stand auf und nickte abgehackt: »Vor zehn Minuten!«
»Gut. Wir verschwinden jetzt auch.« Der Kriminalkommissar instruierte sie noch kurz über das weitere Vorgehen, und dann zogen er und sein Kollege von dannen.
Lara hatte das ungute Gefühl, dass der Blechmann ihr an allem die Schuld gab. Sie sah sich in der Redaktion um. Es wirkte alles wie immer. Wenn da nicht die schwarz-grauen Schmierflecken am Türrahmen und rund um die Eingangstür herum gewesen wären.
»Werden wir über den Kopf in der Schachtel in der morgigen Ausgabe schreiben?« Toms Augen funkelten wie die einer Katze, die gerade einen Sahnetopf entdeckt hatte.
»Niemand wird darüber auch nur eine Zeile schreiben!« Gernot Hampenmann stampfte mit dem Fuß auf. »Und schon gar nicht Sie!« Sein Zeigefinger schien Blitze auf Lara
zu schleudern. Sie verzichtete auf eine Erwiderung. Die Frage war schließlich von Tom und nicht von ihr gekommen. Hampenmann geiferte unterdessen weiter: »Erstens wissen wir immer noch nicht, ob es tatsächlich ein echter Kopf ist oder nur ein Fake, zweitens müssen wir«, er wiederholte es mit stärkerer Betonung, » müssen wir abwarten, was die Spurensicherung herausfindet. Niemals vorher Vermutungen äußern! Das sollte man als Journalist doch wissen! Wir sind kein Wurstblatt, das die Stimmung anheizt! Haben Sie alle verstanden?« Mit triumphierend vor der Brust verschränkten Armen stand er da wie ein kleiner Napoleon und sah in die Runde.
»Alles klar, Chef.« Tom zog den Kopf ein.
»Dann ist es ja gut. Um eins ist Mittagsbesprechung, wie immer! Und bis dahin möchte ich nicht gestört werden.« Der Redaktionsleiter drehte sich auf dem Absatz um und stiefelte in sein Zimmer.
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