Ungeheuer
bestimmt noch.«
Tom kratzte sich am Kopf und senkte dann die Finger auf die Tasten. Im gleichen Moment klingelte sein Telefon. Er betrachtete unwillig das Display, nahm dann den Hörer ab und versuchte, lautlos zu tippen, während er zuhörte. Isabell stand
am Aktenregal und tat so, als suche sie nach einem Ordner, während Toms einsilbige Satzfetzen zu ihr herüberwehten: »… weiß nicht … nein … war sie nicht … nein … woher soll ich denn das wissen … ist sie nicht …«
Sie betrachtete ihr immer noch gerötetes Gesicht im Spiegel neben der Tür und dachte darüber nach, ob man ihr den schnellen Sex auf der Redaktionstoilette ansähe, während Tom sich weiter in Verneinungen erging. Der Anrufer schien hartnäckig zu sein. Schließlich gab er auf, und Tom legte den Hörer mit einem Seufzen zurück. »Puh.«
»Nervig?« Isabell verließ ihren Platz neben der Tür und setzte sich auf die Kante von Toms Schreibtisch.
»Das war irgend so ein Bekannter von unserer Miss Birkenfeld, der sie auf dem Handy nicht erreichen konnte.« Tom verdrehte die Augen.
»Und da ruft er hier an?«
»Normalerweise ist das sinnvoll, da sie ja heute Dienst hat und erreichbar sein muss.« Tom wandte sich wieder seinem Bildschirm zu.
»Machst du dir denn keine Gedanken?«
»Worüber?«
»Wo Lara stecken könnte.«
»Warum sollte ich?«
»Ist sie denn sonst auch manchmal unzuverlässig?«
»Eigentlich nicht.« Jetzt hob Tom den Blick. Er schien nachdenklicher als sonst.
»Vielleicht ist ihr etwas passiert.«
Tom hob kurz die Schultern und wandte sich wieder seinem Monitor zu. »Das glaube ich nicht, Isi. Du dramatisierst ein wenig.«
»Na gut. Hätte ja sein können.« Isabell erhob sich von der Tischkante. Ihre Lippen waren nach vorn geschoben. Tom
behandelte sie manchmal wie eine Vierzehnjährige. Hatten letzte Woche nicht groteske Ereignisse stattgefunden? Allein, wenn sie an vergangenen Mittwoch dachte, an das Paket mit dem Kopf – nicht, dass sie ihn gesehen hätte, Isabell schüttelte sich kurz –, reichte das aus, um ihre Fantasie anzuheizen. Und was in dem zweiten Päckchen von Freitag gewesen war, verschwieg die Polizei noch immer. Nicht dass sie es hätte wissen wollen. Unheimliche Dinge geschahen auch in ihrer Stadt, daran war nicht zu rütteln.
Was, wenn mit Lara Birkenfeld tatsächlich etwas nicht in Ordnung war? Vielleicht brauchte sie Hilfe? Man sollte immer seinem Bauchgefühl vertrauen. Und ihr Bauch sagte ihr, dass hier etwas nicht stimmte.
Isabell setzte sich an ihren Platz und betrachtete die To-do-Liste des heutigen Montags. Auf der Liste stand nicht , dass Tom sie für heute Abend ins Kino eingeladen hatte, aber er hatte es getan. Er wollte sich mit ihr in der Öffentlichkeit zeigen. Im gleichen Augenblick, in dem Isabell sich den weiteren Verlauf des Abends ausmalte, hatte sie auch schon die Gedanken an Lara vergessen.
Doctor Nex setzte sich an seinen Schreibtisch und zwinkerte. Er fühlte sich überhaupt nicht müde, obwohl er seit mindestens vierundzwanzig Stunden nicht geschlafen hatte. Der Dienst wartete nicht. Sein Geist arbeitete mit kristallener Klarheit. Beruhigend summte der Computer.
Zuerst würde er den Text verfassen und danach seinen begnadeten Händen etwas zu tun geben.
Künstler äußert sich zu seinem Werk!
Gestern hat sich der als »D.G. Eine« bekannte Künstler, über den die Kollegin Lara B. am 11.07. einen unsachlichen und polemisierenden Artikel geschrieben hat, in dem sie ihn als »Serienmörder« bezeichnete, persönlich bei unserer Zeitung zu Wort gemeldet.
D. G. Eine bat uns, nunmehr einige Dinge richtigzustellen. Ihm geht es nicht um reißerischen Aktionismus, nicht um Berühmtheit und auch nicht um das Töten von Menschen, wie manch einer zu glauben scheint.
Nein, Dieser Mann ist ein wahrer Künstler, der sein derzeit leider noch unvollendetes Werk irgendwann der entzückten Öffentlichkeit präsentieren wird. Noch ist er jedoch zu schüchtern, sich gänzlich zu offenbaren, und hat uns nur einige seiner Leitgedanken skizziert.
Der Künstler hofft, dass sie den Wert und die künstlerische Genialität seiner Schöpfung danach besser zu schätzen wissen.
Doctor Nex kratzte sich am Haaransatz. War das der richtige Stil, in dem die Zeitungsartikel geschrieben waren? Vielleicht noch nicht ganz. Er konnte den Text am Schluss noch einmal überprüfen. Fast immer war es nützlich, wenn man sein Werk mit etwas Abstand noch einmal betrachtete. So
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