Ungeheuer
Belichtung. Es war auch nichts gespeichert. Auf Laras Computer wurde zwar das zuletzt geöffnete Dokument angezeigt, der Dateiname lautete ›Text 3‹, der Pfad war aber ungültig. Der Inhalt muss auf einem externen Speichermedium vorgelegen haben, das dann wieder entfernt wurde.«
»Und das Druckzentrum hat auch nichts?«
»Ich kann da anrufen und nachfragen. Wahrscheinlich haben die Techniker die Seite gleich wieder gelöscht, da die Änderung zu spät kam. Das Ganze wird ja per Datenkabel übersandt und nicht als Dateianhang.«
Mark betrachtete die Gasbläschen in seinem Wasser, während der Fotograf telefonierte.
»So ein Mist. Die wissen auch nichts Konkretes. Wir können wohl nur spekulieren, was da drinstand.« Jo runzelte die Stirn. »Da stimmt etwas nicht. Ich finde es jedenfalls befremdlich, dass Lara gestern Abend noch in der Redaktion gewesen sein und die Seite geändert haben soll. Warum hätte sie das tun sollen?«
»Genau das ist die Frage.« Mark überlegte kurz und beschloss, den Fotografen in einige Details einzuweihen. In dürren Worten beschrieb er Laras Vorahnungen: zuerst ihre Furcht, einen Hirntumor zu haben, dann das seltsame Zusammentreffen von Eingebungen und realen Fällen, umriss die bekannten Tatsachen über den Serienmörder und erläuterte Grundzüge seiner Fallanalyse, ohne interne Details zu verraten. Die senkrechten Falten auf Jos Stirn vertieften sich von Minute zu Minute.
»Letztes Wochenende haben Lara und ich dann noch einmal ausführlich telefoniert.« Mark hatte seine Stimme zu einem Flüstern gedämpft, obwohl an den Nachbartischen niemand saß. »Wahrscheinlich hat der Täter Beate Z. nur ermordet, um uns zu beweisen, dass die Aussagen über seinen Modus Operandi in dem Zeitungsartikel vom letzten Dienstag falsch sind. Es hat dann allerdings – wegen der verhängten Nachrichtensperre – niemand über das Mittwochspaket mit dem abgetrennten Kopf berichtet, das der noch immer unbekannte Penner bei Ihnen in der Redaktion abgegeben hat. Lara und ich wussten jedoch bei unserem Gespräch am Freitagmorgen noch nicht, dass es inzwischen in Tschechien schon die nächste Leiche gab. Und dieses Mal hat sich der Mörder wieder fast wie bei den vorhergehenden Opfern an seine Fantasien gehalten.«
Jo nahm hastig einen Schluck und beugte sich nach vorn, um kein Wort zu verpassen.
»Allerdings fehlte auch bei der tschechischen Prostituierten der Kopf. Er wurde fachgerecht abgetrennt, der Täter muss Anatomiekenntnisse haben.«
»Ist meine Ahnung richtig, dass dieser Kopf in dem Paket war, das der Obdachlose am Freitag in der Redaktion abgegeben hat, genau wie Mittwoch davor?«
»Da liegen Sie richtig.« Mark nickte.
»Die Kollegen und ich haben es vermutet, aber da die Spurensicherung gleich alles abtransportiert hat, waren wir uns nicht sicher.« Jo schüttelte sich unwillkürlich. Seine Gedanken schweiften ab. Zwei abgetrennte Köpfe in einer Woche. Mit gesundem Menschenverstand war das nicht zu erfassen. Die Lage spitzte sich zu. Irgendjemand musste den Mörder aufhalten. »Das zweite Paket war auch an ›LB‹ adressiert – Laras Kürzel!«
»Ich weiß.« Mark schob die Unterlippe nach vorn. »Lara und ich haben darüber geredet. Der Absender weiß aber nicht, wer sich hinter der Abkürzung verbirgt. Er hat den Adressaten als Mann angesprochen.«
»Ja, aber – das war letzte Woche. Vielleicht weiß er inzwischen, wer ›LB‹ in Wirklichkeit ist?« Jo klang zunehmend sorgenvoller, und auch in Mark entwickelte sich der Argwohn zu einer Lawine, während Jo weiterredete. »Lara ist seit gestern nicht zu erreichen, sagten Sie?« Er wartete das Nicken seines Gegenübers ab und fuhr fort. »Vielleicht ist sie nur krank und liegt im Bett, aber hätte sie dann nicht in der Redaktion oder auch bei Ihnen angerufen? Ich finde, Sie sollten sich vergewissern. Und zwar sofort.«
Mark musterte den Fotografen genauer. Der Mann hatte recht. Und ihm selbst hätte schon längst klar sein müssen, dass hier etwas faul war. Sein Unterbewusstsein war da zuverlässiger, warum sonst hatte es die ganze Nacht insistiert, bis er
seine Dienstagstermine abgesagt, in aller Herrgottsfrühe ins Auto gestiegen und hierhergefahren war?
»Was wollen Sie jetzt tun?«
»Ich fahre zu ihr nach Hause und versuche irgendwie, in die Wohnung zu gelangen.« Mark hob sein Portemonnaie und winkte der Bedienung.
»Ich weiß, dass Laras Nachbarin einen Schlüssel hat.« Jo faltete die Rechnung und
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