Ungeschoren
Lookalike‹, zur besten Sendezeit. Der verwandelte Teilnehmer wurde, zusammen mit acht ›lookalikes‹, also Menschen, die ungefähr ähnlich aussahen, in einen Raum gebracht. Jetzt war ›People’s Voice‹ gefragt. Die Zuschauer riefen für je eine Gesprächseinheit neun verschiedene Nummern an, eine Nummer für jede Person im Raum, um zu raten, wer die verwandelte Person war. Ein vor der Verwandlung gemachtes Foto der Person war die ganze Zeit eingeblendet. Wenn man es durch dieses Nadelöhr geschafft hatte – also wenn die Anrufer falsch geraten hatten –, stand man im großen Finale. So ging es weiter, bis zehn Personen übrig waren. Dann folgte ›Makeover – The Final‹. Und nun waren es die Ausgeschiedenen, die mit ihrer ganzen Enttäuschung im Bauch über das beste ›makeover‹ abstimmen sollten. Täglich wurde eine halbe Stunde ›Makeover‹ gesendet, teils mit Szenen vom eigentlichen ›makeover‹ – mit astreinen Operationsbildern –, teils mit Bildern aus den Räumen, in denen die Kandidaten ihre Wartezeit verbrachten. Handfeste Intrigen waren vorab von der Boulevardpresse aufgetischt worden, weil man alles aufgezeichnet hatte. Die chirurgischen Komplikationen waren seit langem finanziell abgeklärt.
Kalastelevision war selbst der Ansicht, man habe die optimale Synthese von Krankenhaussoap und Dokusoap geschaffen.
Mehrere unabhängige Quellen behaupteten, ›Makeover‹ habe das Budget des Krankenhauses verdoppelt, doch die Behauptungen blieben unbekräftigt. Nicht einmal die Wirtschaftsjournalisten, die in der Regel am tiefsten gruben, vermochten sich ein Bild von den finanziellen Transaktionen zu machen.
Er saß allein zu Hause und sah den ersten Teil. Die Familie war verreist. Und er war fassungslos. Er zog auf der Stelle den Laptop heran, um die Tageschronik zu schreiben. Aber seine Hände zitterten mehr als nur ein klein wenig – ein gutes Zeichen, ein Zeichen dafür, dass er engagiert war, angebissen hatte. Nein, seine Hände wurden förmlich geschüttelt. Seine Finger würden nie die richtigen Tasten treffen.
Und plötzlich waren Wörter nicht mehr ausreichend.
Plötzlich erkannte er, dass er weder die Produktionsgesellschaften noch das Medium Fernsehen als solches je würde beeinflussen können. Sie benutzten Wörter nicht auf diese Weise. Als Gespräch. Als Dialog. Stattdessen benutzten sie die Wörter als Maskierung. Sie taten so, als ob sie ein Gespräch führten.
Hier war eine ganz andere Sprache gefordert.
Dann wurde es diffus. Vielleicht fing da das Gedankenlesen an. Von jenem Augenblick an waren seine Erinnerungen verschwommen.
Er wusste noch, dass er eine Pistole in die Tasche legte. Ein altes Stück, noch aus seiner Zeit in der Heimwehr. Er wusste noch, dass er sie geladen hatte. Er wusste sogar noch, dass er schoss. Aber an Menschen erinnerte er sich nicht. An gar keine Menschen.
Und alles war sehr seltsam.
5
Das Reihenhausgebiet lag verlassen da. Verlassen auf die ursprüngliche Art und Weise. Eine archaische Verlassenheit.
Wie der Tod.
Wenn auch nur aus einem einzigen Blickwinkel.
Nämlich dem von Paul Hjelm.
Er saß in seinem schicken neuen Dienstwagen, einem metallicgrünen Volvo S-60, den bisher niemand in Norsborg kannte, und beobachtete das Geschehen aus der Distanz. Vollständig anonym. Vermutlich waren die Nachbarn zur Stelle, genau wie immer, neugierig durch Lücken und Zäune spähend, aber er sah sie nicht. Und sie sahen ihn nicht. So viel Erkundungsgewohnheit besaß er.
Nein. Die Verlassenheit war in unangenehm hohem Grad eine innere Verlassenheit.
Er hätte natürlich nicht da sein sollen.
Nicht genug damit, dass es seine Arbeitszeit war, nicht genug damit, dass alles bis ins kleinste Detail arrangiert war. Er hatte, um das Maß voll zu machen, mit der Sache überhaupt nichts zu tun. Dies war nicht mehr seine Welt.
Aber er konnte nicht anders. Es war seine Art, Abschied zu nehmen. Von einer Epoche. Einer Epoche, die im Großen und Ganzen ein Leben umfasste.
Er hatte nicht viele Erinnerungen an sein Leben vor der Zeit, als er hierher gezogen war. Frisch verheiratet und frisch examiniert und mit dem Ziel, eine Familie zu gründen und ein reibungsloses Leben zu führen. Weiter hatte sein Ehrgeiz kaum gereicht. Aber im Großen und Ganzen hatte es wohl funktioniert. Das war es, was er getan hatte. Auch wenn er das Ende der Fahnenstange nicht ganz erreicht hatte.
Er saß schon dort, als der Möbelwagen zwischen die Reihenhäuser rollte und
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