Ungeschoren
Kind war acht Jahre alt.
Es war viel zu kompliziert für ein armes kleines Hirn, daran zu denken, und so ließ sie die Sache auf sich beruhen.
Sie blickte jedenfalls auf ihre linke Hand und stellte fest, dass die Frühjahrssonne endlich alle Spuren des alten Verlobungsrings ausgelöscht hatte. Sie hatte nicht in ein Solarium gehen wollen. Der weiße Ring auf ihrer Haut musste auf natürliche Weise verschwinden. Es war eine kleine Fixierung. Hoffentlich die letzte.
Sie hatte eine Therapie gemacht. Einen vorsichtigen Versuch. Und es hatte sich gut angefühlt. Wie Pflaster auf Wunden, die auch von allein heilen würden. Um die Bakterien fernzuhalten.
Sogar die Gleichnisse änderten sich, wenn man Kinder bekam. Anders hatte eine Tendenz, sich Schürfwunden an den Knien zu holen. Unfehlbar. Und immer wollte er Pflaster haben, fast so, als holte er sich die Schürfwunden, um die bunten Pflaster betrachten zu können. Pflaster gab es mittlerweile in den abenteuerlichsten Formen und Farben. Das zumindest hatte sie im vergangenen Jahr gelernt.
Er saß auf dem zweiten Stuhl am Schreibtisch und zeichnete. Autos, immer Autos, und immer vor dem Hintergrund einer Stadtsilhouette. In Bewegung. Immer in Bewegung, immer auf dem Weg von einem Ort zum anderen. Zu einer Stadt. Als verarbeitete er seine Erlebnisse.
Aber vielleicht legte sie zu viel hinein.
Was sie aber mit unumstößlicher Sicherheit wusste, war, dass sie ihn liebte. Auf eine Weise, zu der fähig zu sein sie bezweifelt hatte. Vorbehaltlos.
Merkwürdig war, dass er nicht mehr schonisch sprach. Er hatte das Leben gewechselt und die Gelegenheit genutzt, den Dialekt zu wechseln. Sie fragte sich, ob dieser Prozess so unkompliziert war, wie es den Anschein hatte. Sie redeten viel darüber, redeten überhaupt viel miteinander, waren in einem langen und ständig fortgesetzten Gespräch begriffen.
Es war wie der Heilungsprozess selbst. Die Therapie war das Pflaster auf der Wunde.
Um die Gleichnisse nicht zu stark zu variieren.
Sie schüttelte sich und rief sich zur Ordnung. Es war vieles vorzubereiten. Eine kleine Antrittsrede vor der umgebildeten A-Gruppe. Und danach galt es, an dem aufsehenerregendsten Mordfall des Landes seit langem weiterzuarbeiten. Seit den Machtmorden, dem ersten Fall der A-Gruppe, als ein Serienmörder Wirtschaftsgrößen ausgeknipst hatte.
Der jetzige Fall lief unter dem Namen ›Fernsehmord‹ und war, ehrlich gesagt, ziemlich trist. Doch obwohl er im Großen und Ganzen aufgeklärt und erledigt war, nahm der Fall in den Medien einen extrem breiten Raum ein. Ständig brachte die Presse neue Theorien, ständig neue Betrachtungsweisen und Aspekte. Unerschöpflich. Fernsehkritiker ermordet Fernsehchef. Konnte man sich etwas Lukrativeres vorstellen?
Ein paar alte Fälle waren noch nicht abgeschlossen und mussten weiterbearbeitet werden. Sie würde die Arbeit nicht mehr als notwendig beeinflussen. Das Chefideal hatte sie an einer unerwarteten Stelle gefunden. Bei den Schiedsrichtern in den Spielen der gerade stattfindenden Fußballweltmeisterschaft. Die besten Schiedsrichter beeinflussten die Spiele dadurch, dass sie unbemerkt blieben. Die schlechtesten traten aufdringlich in Erscheinung. Und bei den Schiedsrichtern gab es auffallende Niveauunterschiede.
Okay, sie sah sich die Fußball-WM an, ziemlich oft sogar. Jetzt war es raus – jetzt hatte sie es zugegeben. Auch vor sich selbst.
Ich, Kriminalkommissarin Kerstin Holm, sehe ziemlich viel Fußball-WM.
Wie einfach es war.
Im Augenblick lief das prestigeträchtige Achtelfinalspiel zwischen Mexiko und den USA, darauf musste sie verzichten, doch ein wenig später, am Nachmittag, würde sie versuchen, heimlich Brasilien gegen Belgien zu sehen.
In Ermangelung Schwedens, das den gestrigen Vormittag dazu genutzt hatte, gegen Senegal auszuscheiden. Ein Anflug von Staatstrauer hatte das Abschiedsfest zu Ehren von Jan-Olov Hultin begleitet.
Und morgen wartete das Spitzenspiel Südkorea gegen Italien.
Sie machte sich weniger Sorgen um ihre eigene Führungsrolle – sie war schon so lange dabei und kannte die Arbeit der Gruppe in- und auswendig –, sondern um das neue Erscheinungsbild der A-Gruppe.
Der harte Kern von alten Hasen bestand weiter. Gunnar Nyberg, Arto Söderstedt, Viggo Norlander. Und Sara Svenhagen, die aus ihrem Mutterschaftsurlaub zurückgekehrt war.
Raus aus dem Spiel waren Jan-Olov Hultin, Paul Hjelm, Jorge Chavez und – Kerstin Holm. Keiner der vier war leicht zu ersetzen. Alle
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