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Ungeschoren

Ungeschoren

Titel: Ungeschoren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
Vom Netzwerk:
balsamierten nördlichen Kollegen.
    Er fuhr fort: »Vor einigen Monaten wurde von der größten polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza ein beachtliches Netzwerk aufgedeckt. Es war in der Textilstadt Lódg. Viele Menschen waren beteiligt, und es ging nicht mehr nur um Belohnungsgeld für Hinweise. Die ›Kopfjäger‹ hatten auch angefangen, aktiv zum Beschaffen der Leichen beizutragen. Krankenwagenfahrer ließen sich Zeit, damit Kranke und Verletzte unterwegs sterben konnten, und am Ende gingen sie ein Stück zu weit. Sie injizierten Mittel, die den Tod beschleunigen sollten. Unsere Kollegen von der Polizei in Lódg interessierten sich besonders für den übermäßig hohen Verbrauch des Muskelentspannungsmittels Pavulon, das normalerweise nur bei Operationen eingesetzt wird. In anderen Fällen kann es zum Atemstillstand führen. Man exhumierte eine Menge Tote, und der Skandal wurde in seiner ganzen Tragweite aufgedeckt. Es zeigte sich, dass das Netzwerk Verzweigungen auch in anderen Städten hatte, aber Poznán war weitgehend verschont geblieben. Bis jetzt.«
    Zum ersten Mal bewegte sich Jon Anderson. Sein Gesundheitszustand hatte sich ein wenig stabilisiert, und er begann, den Zusammenhang zu ahnen. Er sagte: »Die Krankenschwester Elzbieta Kopanska war also ›Kopfjägerin‹?«
    »Alles deutet darauf hin«, nickte Wojcik. »Es lässt sich natür lich nicht nachprüfen, woher die Zahlungen kamen, aber es sind immer tausend Złoty, während des vergangenen Jahres minde stens einmal im Monat.«
    »Und immer ist jemand in ihrer Station gestorben?«
    Wojcik lächelte freudlos und beobachtete Anderson.
    »Ganz richtig«, sagte er. »Das Geld ist, ein paar Tage nachdem eine Person in ihrer Station im Raszeja-Krankenhaus gestorben ist, auf ihrem Konto eingegangen.«
    »Gibt es Gründe zu der Annahme, dass sie eine … aktive ›Kopfjägerin‹ war?«
    »Leider ja. Mindestens fünf der betreffenden Todesfälle müssen als ›verdächtig‹ bezeichnet werden.«
    »Inwiefern ›verdächtig‹?«
    »Um es konkret zu sagen: Sie hat sie ermordet. Ihre finanzielle Lage war äußerst kritisch. Sie wohnte allein in einer zu teuren Wohnung, arbeitete extrem hart und hatte absolut keine Möglichkeit, einen Nebenjob anzunehmen. Also musste sie anderweitig ihr Einkommen aufbessern, um kein Sozialfall zu werden. So überschritt sie eine Grenze. Ich glaube, das ist die einzig mögliche Erklärung.«
    »Und wie sieht es in diesen fünf ›verdächtigen‹ Todesfällen mit den Angehörigen aus?«
    Wojcik blickte in seine Papiere. »Zwei waren Alkis vom üblichen osteuropäischen Zuschnitt«, sagte er ohne Umschweife. »Kein Verwandter weit und breit. Drei von ihnen hatten dagegen eine relativ normale Familiensituation. Pawel Wlodarczyk, zweiundachtzig Jahre alt, dementer Ex-Admiral mit zwanzig Jahre jüngerer Ehefrau, aber keine Kinder, gestorben im Juni vorigen Jahres. Artur Krzosek, vierundfünfzig Jahre, krebskranker pensionierter Lehrer mit Ehefrau und drei erwachsenen Kindern, gestorben im Dezember vorigen Jahres. Und Irina Zazawska, sechsunddreißig Jahre, krebskranke Fabrikarbeiterin, geschieden, Mutter von vier kleinen Kindern, gestorben im Januar dieses Jahres. Im gleichen Monat deckt die Gazeta Wyborcza das große Netzwerk in Lódg auf. Elzbieta Kopanska spürt, dass die Gefahr aufzufliegen wächst. Der erforderliche Nebenverdienst droht zu versiegen. Sie nimmt die Gelegenheit wahr und verlässt das Land. Es passt ziemlich gut.«
    »Dass ausgerechnet Pflegepersonal so etwas tut, das ist schwer zu verstehen«, sagte Jon Anderson. »Sie haben doch einen Eid abgelegt.«
    Marek Wojcik betrachtete seinen unschuldsvollen Kollegen. Dass Welten so unterschiedlich sein können.
    Leicht zögernd sagte er: »Es ist ganz und gar nicht schwer zu verstehen. Alle Werte sind doch bereits auf den Kopf gestellt. Die Welt ist vollkommen verrückt. Was sagt es über den Wert unseres Lebens aus, wenn diejenigen, die es retten sollen, sich mit einem Taschengeld abfinden müssen? Eine so wichtige und schwere und anstrengende Arbeit für einen so lächerlich niedrigen Lohn, während der kleinste Handlanger bei den privaten Firmen das Doppelte verdient. Wir bei der Polizei sind in einer ähnlichen Situation. Für einen Polizisten ist es nicht schwer zu verstehen, dass man Skrupel abbaut, wenn man durch einen Telefonanruf mehr verdient als mit einem ganzen Monat harter Arbeit. Eine internationale Untersuchung hat gezeigt, dass die korrupteste

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