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Ungeschoren

Ungeschoren

Titel: Ungeschoren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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schon so?«, fragte Anderson.
    »Sie meinen den Verfall?«, sagte Krzosek. »Dann sagen Sie es doch.«
    »Der Verfall«, sagte Jon Anderson folgsam.
    »Ein Jahr«, sagte Krzosek. »Ich war Hochschullehrer in Soziologie. Ich wurde wegen drastischer Mittelkürzungen gefeuert. Es geschah etwa zur gleichen Zeit, als mein Vater starb. Es war einfach zu viel. Besonders wenn man die Umstände berücksichtigt, unter denen er starb.«
    »Die im Endeffekt die gleichen Umstände waren, die zu Ihrer Entlassung führten.«
    »Sie haben’s erfasst, Kommissar.«
    »Kriminalinspektor.«
    »Drastische Kürzungen der öffentlichen Ausgaben«, sagte Krzosek und angelte eine Flasche Wodka aus dem kaputten Polster des Sessels. Er bot dem wild kopfschüttelnden Kriminalinspektor einen Schluck an und fuhr fort:
    »Hochschullehrer, die schon alles – Familie, Gesundheit und Ersparnisse – für ihre Forschung geopfert haben, werden von heute auf morgen gefeuert. Krankenschwestern, die rund um die Uhr arbeiten, ermorden pensionierte Lehrer, um zu überleben. Alles nur, um den Forderungen der EU zu genügen.«
    »Ihre Mutter scheint nicht besonders rachsüchtig zu sein, aber Sie und Ihre Geschwister muss es stark getroffen haben.«
    Wojtek Krzosek nahm einen kleinen Schluck Wodka, schnitt eine bittere Grimasse und sagte: »Mein Bruder macht Karriere in einem Online-Unternehmen. Er hält den Kapitalismus für Gott. Den Retter in der Not, den Erlöser von dem Bösen. Meine Schwester ist schon fast eine Nonne. Obwohl sie selbst davon nichts weiß. Keinem von beiden liegt etwas an meinem Vater, nur an meiner Mutter. Mein Bruder hält sie für total verrückt wegen ihrer Behauptung, dass unser Vater jeden Abend zu Besuch kommt. Meine Schwester hält unsere Mutter für eine Heilige. Wenn sie stirbt, wird meine Schwester wahrscheinlich ihr Leben der Aufgabe widmen, sie heilig sprechen zu lassen. Um Audienz beim Papst ersuchen. Mit korrupten Pädophilenkardinälen schachern.«
    »Aber Sie haben anders reagiert. Was haben Sie gegenüber der Krankenschwester empfunden?«
    »Ich habe einen starken und ohnmächtigen Hass empfunden«, sagte Wojtek Krzosek und starrte Anderson mit unerwartet klarem Blick an. »Aber ich bin mir nicht sicher, ob der Hass sich gegen die Krankenschwester oder gegen ihr Motiv richtete. Das ist nicht unbedingt dasselbe.«
    »Also haben Sie nie in Schweden angerufen und sie bedroht?«
    »In Schweden? Warum sollte ich in Schweden anrufen?«
    »Weil sie dahin umgezogen ist.«
    »Aber ich weiß nicht einmal, um wen es sich handelt«, stieß Krzosek hervor. »Das war der Spinnkram meiner Mutter. Und es gab doch Massen von Schwestern im Krankenhaus. Jede von ihnen konnte schuldig sein. Wenn es denn einen Schuldigen gab. Außer den USA.«
    »USA? Dem Land USA?«
    »Sie sind soziologisch nicht besonders bewandert, nicht wahr, Kommissar?«, sagte Wojtek Krzosek und stellte die Wodkaflasche ab.
    »Kriminalinspektor«, sagte Jon Anderson.
    Draußen im Treppenhaus wandte er sich an Cazapiewski, der zum vierten Mal die kleine Digitalkamera in die Innentasche seines Sakkos steckte.
    »Was glauben Sie, Krapinski?«, fragte er. »Wie verhält sich das mit diesem Alkoholismus?«
    Kriminalassistent Cazapiewski, der bisher kaum angesprochen worden war, betrachtete verwundert seinen aalgleichen schwedischen Kollegen. »Er gehört nicht zu den richtig schweren Alkoholikern«, sagte er vorsichtig.
    »Glauben Sie, dass es eine Tarnung ist? Dass er gar nicht so tief unter dem Eis steckt, wie er vorgibt?«
    »Vielleicht tut er, was er kann, um nicht unterzugehen«, sagte Cazapiewski.
    Die Rushhour musste man ertragen um diese Tageszeit. Es war nach fünf. In einem Stau unter der noch immer vollkommen nackten, glühenden Sonne klingelte das Handy.
    »Yes«, sagte Jon Anderson.
    »Na so was«, sagte Kerstin Holm. »Ich dachte, du könntest den Namen nicht leiden.«
    Trotz des schlechten Empfangs verstand er ihre nervige Stimme gut, als sie fortfuhr: »Wie läuft es?«
    »Elzbieta Kopanska hat allem Anschein nach mindestens fünf Patienten ermordet, um von den Beerdigungsinstituten eine Art Prämie zu kassieren. Ich habe mit vier potenziell verdächtigen Verwandten gesprochen und mache morgen weiter. Namen und Fotos kann ich nachher mailen.«
    »Es ist doch nicht zu fassen«, sagte Kerstin Holm und schien aus der Fassung gebracht. »Ich glaube, ich habe davon gelesen. ›Kopfjäger‹, richtig? Aber es war in einer anderen polnischen Stadt.«
    »Lódg«,

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