Ungeschoren
Menschen.
Das Messer zum ersten Mal in den Bauch sinken zu fühlen. Eine Penetration, ein kurzer, schwacher Schmerz, der irgendwo im dunklen Weltraum war. Der darauf wartete, langsam hinabzugleiten und mit fürchterlicher Kraft, die alles erleuchten sollte, auf ihm zu landen. Alles durchleuchten sollte. Wie die Mitternachtssonne.
Der Glaskäfig zerbarst.
Das Geräusch. Ratschend, berstend. Die starke Haut, die platzt, aufgeschlitzt wird.
Wie seine Unschuld zu verlieren.
Ein Kaiserschnitt für das Tier im Bauch.
Es würde nie mehr das innere Tier sein.
Das Blut rann nicht. Es spritzte. Ein Orgasmus des Todes, als die starre Maske zerbrach. Und als der zweite Stich kam, schien bereits die Mitternachtssonne.
Die erbarmungslos alle Geheimnisse der Nacht enthüllt.
20
Kinder von acht Jahren denken viel an den Tod. Diese plötzliche Erkenntnis, die alles verändert, die das Leben auf eine andere Ebene hebt. Die Erkenntnis, dass wir sterben werden, verschwinden, dass es unendlich viel Zeit gegeben hat, bevor wir geboren wurden, und unendlich viel Zeit geben wird, wenn wir gestorben sind. Dass wir für eine kurze, kurze Zeit in ein Zeitalter hineingestellt sind, das wir uns nicht auswählen können.
Das sollte genug sein.
Dennoch sind es immer Kinder, die Leichen finden. Wenn es nicht Hunde sind. Und Hunde sind ein bisschen zu trist. Das haben wir viel zu oft gesehen.
Ich, das einst so irritierende Pseudonym, dachte mir, dass eine Bande Achtjähriger unsere Leiche finden sollte. Ich sah sie vor mir, eine Grundschulklasse in den Sommerferien auf einem Freizeitausflug nach Långholmen zum ersten Bad des Jahres in dem nicht ganz zuverlässigen Wasser des Mälarsees. Einmal heißt es, dass es rein wie Quellwasser sei, dass man es sogar trinken könne, ohne Vorsichtsmaßnahmen. Ein andermal kommen ganz im Gegenteil lautstarke Warnungen, die besagen, dass man in dem See mit Schwedens tödlichstem Grund auf eigene Gefahr badet.
Was soll man davon halten.
Die Achtjährigen würden sich um den treibenden, nicht ganz appetitlichen Körper versammeln, der plötzlich wie ein von der Pest befallenes mittelalterliches Schiff aus dem Schilf gleiten würde. Die erste, ebenso erschreckende wie faszinierende Begegnung mit dem Tod. Dem konkreten Tod.
Aber lieber nicht. Ich verschone sie. Sie dürfen noch eine Weile unschuldsvoll bleiben. Die Wirklichkeit holt sie früh genug ein.
Nein, ich suche mir jemanden, der es leichter verkraftet. Bei dem es nicht so traumatisch ist. Überhaupt nicht traumatisch, genau genommen. Ich wähle einen Pathologen.
Der Pathologe, den ich mit einer gewissen geografischen Logik im Söder-Krankenhaus arbeiten lasse, soll in der Nähe wohnen, im alten Messer-Söder. Tatsache ist, dass er – ohne es jemals zu erfahren – Nachbar des gerade erst zugezogenen Paul Hjelm in der Slipgata ist. Der Stolz von Messer-Söder. Im gleichen Treppenaufgang sogar, als hätte es mit dieser Erzählung zu tun. In der Zukunft werden sie einander im Treppenhaus kurz zunicken, und sie werden keine Ahnung davon haben, dass sie im selben Buch vorgekommen sind.
Der Pathologe joggt. Er joggt fleißig, es ist ein Teil seiner neuen Lebensführung. Früher war er ziemlich übergewichtig, aber vor einigen Jahren hat er seine Ernährung umgestellt. Und seine Trinkgewohnheiten. Es musste genug sein mit dem Verfall nach der Scheidung. Immerhin war es zwanzig Jahre her, dass seine Frau mit einem Staubsaugerverkäufer durchgebrannt war, der sie aus ihrer Hausfrauentristesse befreit hatte.
Etwa jeden zweiten Tag läuft der Pathologe fünf Kilometer. Nicht mehr. Er will kein Marathonläufer werden. Es muss Grenzen geben.
Die Runde auf Långholmen passt genau. Außerdem kann man sich nach verrichteter schweißtreibender Arbeit direkt in die ach so blauen Wellen stürzen. Der Pathologe möchte der erste Badende des Jahres im dubiosen Wasser des Långholmsbades sein. Eine steinharte Dame in den Achtzigern macht ihm Konkurrenz. Als er sie im frühen Frühjahr in ihrem üblichen großgeblümten Badeanzug dastehen und die Wassertemperatur zwischen den letzten Eisschollen fühlen sah, lief er einfach geradeaus und warf sich hinein. Er verbarg geschickt, dass er sich den Brustkorb an einer Eisscholle aufgeschrammt hatte. Als er mit zusammengebissenen Zähnen und über der blutenden Brust gekreuzten Armen wieder herauskam, fragte die Dame: »Ist es so kalt wie gestern?«
Sie ist jetzt seine Feindin. Sie fühlen sich in ihrer
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