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Ungeschoren

Ungeschoren

Titel: Ungeschoren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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Bleistift am Ohr.
    »Ja«, sagte Kerstin Holm und stand auf.
    »Unterschreiben Sie hier«, sagte der Hausmeister, breitete ein zerknittertes Blatt Papier auf dem Schreibtisch aus, schob den Karton von der Karre und ließ ihn an der Tür stehen, riss das Papier an sich und war verschwunden.
    Sie beäugte grimmig den großen Karton auf dem Fußboden. War das selbstverständliche Bedürfnis von Handwerkern, Damen in Not zu helfen, tatsächlich auch ein Begriff aus der Vergangenheit?
    Das Klebeband war dick und in mehreren Lagen übereinander geklebt. Sie durchsuchte die Schreibtischschubladen nach einer Art Werkzeug. Die Schubladen waren praktisch leer. Ein Bleistift musste es tun.
    Die Spitze brach ein paar Mal ab, und als sie es schließlich geschafft hatte, das dicke Klebeband zu durchstoßen, zerbrach der ganze Bleistift, und die Teile flogen durchs Zimmer. Sie seufzte, riss in ihrer Wut den Karton mit den bloßen Händen auf und blickte auf einen Fernseher. Sie hob ihn heraus und trug ihn durchs Zimmer. Mit letzter Kraft stellte sie ihn auf das Regal neben der Kaffeemaschine. Das Regal bebte besorgniserregend. Sie drehte ein bisschen daran, um den besten Winkel vom Schreibtisch aus zu bekommen. Dann steckte sie den Stecker in die Steckdose, ging zum Karton zurück und zog die Plastikbeutel mit Antennenkabel, Fernbedienung und Bedienungsanleitung heraus. Sie riss den Plastikbeutel mit der Bedienungsanleitung auf und blätterte bis zum Punkt ›Sendereinstellung‹ vor. Sie suchte die Antennensteckdose und führte das Antennenkabel bis zum Fernseher. Und mit den mächtigen Energien der Frustration riss sie die widerspenstige Plastiktüte der Fernbedienung in Streifen und schaffte es tatsächlich, ein automatisches Sendersuchprogramm zu starten.
    Während sie auf ein Ergebnis wartete, klingelte das Telefon: »Du vergisst doch nicht diese Telefonnummern?«, sagte Jon Anderson.
    »Wo bist du?«, entgegnete Kerstin Holm kurz angebunden und nahm den Blick nicht von dem wie wild suchenden Fernsehschirm.
    »Irgendwo über Norrköping auf dem Weg nach Poznán.«
    »Flugzeugtelefon?«
    »Ja. Denk an die Nummern.«
    Die Suche war abgeschlossen. Sie legte den Hörer auf und drückte die Eins. Es funktionierte. Die Technik machte unbestreitbar Fortschritte.
    Japan – Türkei. Babyface Inamoto war immer sehenswert, und wie alle Nationalhelden wurde Hidetoshi Nakata klar überschätzt. Der Status eines Nationalhelden beruhte in der Regel auf etwas anderem als Kompetenz. Nationalheld wurde man nicht aufgrund eines Verdienstes. Doch vor allem zeichnete sich wie gewöhnlich Pierluigi Collina aus, allgemein als der beste Fußballschiedsrichter der Welt bekannt, mit wie üblich brennendem Blick und glänzender Glatze. Sie hatten erst eine Viertelstunde gespielt, und die Türkei führte bereits mit 1:0 nach einem schönen Tor des brillanten Technikers Ümit Davala vom AC Mailand. Die eine Gastnation war auf dem Weg aus dem Turnier, die zweite traf am Nachmittag auf Italien …
    Der Fernseher musste im Hintergrund stehen. Wenn jemand hereinkam, konnte sie immer behaupten, sie sei dabei, ihren neuen Fernsehapparat richtig einzustellen, den sie, nach Ansicht des Reichskriminalchefs, in ihrem Zimmer haben sollte. Oder, falls ein Mann eintrat, dass sie Hilfe benötige, um etwas anderes als diesen dämlichen Fußball reinzubekommen.
    In einer solchen Welt lebte sie noch immer.
    Sie kehrte zum Fax zurück. ›Denkt an Yasser Askar.‹ Der gleiche Stil, die gleiche lakonische Formulierung. Hatte es mit Joy Rahman zu tun? Dem unschuldig wegen Mordes verurteilten Pfleger, an den man anscheinend auch denken sollte? ›Denkt an Joy Rahman.‹ Und warum kam das Fax zu ihr?
    War es wirklich wichtig? Jeden Tag landete eine Menge Mist auf dem Faxgerät der A-Gruppe. Warum sollte ausgerechnet dieses etwas anderes sein? Warum ließ sie zu, dass es Platz in ihrem Gedächtnis einnahm?
    Der Tonfall? Na ja, von einem Tonfall konnte man eigentlich überhaupt nicht sprechen. Und doch … Ganz normal war es nicht.
    Das Telefon klingelte. Es war Åkesson. Bengt. Es fiel ihr schwer, den Hörer zu halten. Er fühlte sich feucht an.
    »Störe ich?«, fragte er.
    »Ist etwas mit Anders?«, entfuhr es ihr.
    »Was? Mit wem?«
    »Mit wem? Meinem Sohn. Den ich deiner Mutter anvertraut habe. Falls du dich erinnerst.«
    »Ach so. Nein, nein. Da ist nichts. Ich wollte nur fragen, ob du Zeit hast, mich unten in der Gerichtsmedizin zu treffen. Ich habe da etwas, was ich dir

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