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Ungeschoren

Ungeschoren

Titel: Ungeschoren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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ihm machte seine ersten taumelnden Schritte.
    Er verließ das Lokal. Das hier war für die anderen. Die aufgehört hatten, Widerstand zu leisten. Hierher gehörte er nicht.
    Es wurde rasch dunkel. Anders als in Tornedalen. Um diese Zeit war die Mitternachtssonne gekommen. Die erbarmungslos alle Geheimnisse der Nacht enthüllt. Es war bald Mittsommer, und in Olkamangi würde die Mitternachtssonne eine knappe Woche lang scheinen. Ein ersehnter Gast, der nur übernachtete.
    Hier auf dem Kontinent war alles in Dunkel gehüllt. In seinem Innern dehnte sich ein Vakuum aus. Eine nächtliche Leere. Er sah, wie sich die Mitternachtssonne im blanken Torne Älv spiegelte. Er sah in der öden Helle der mittsommernächtlichen Landschaft die Mückenschwärme, wie sie ein Auto, das sich in die helle Nacht verirrt hatte, binnen einer Sekunde gesprenkelt aussehen ließen. Er sah die Rentiere, die auf die Heide hinaustraten und vorsichtig witternd am dunstschimmernden Waldrand stehen blieben.
    Elfen tanzten in der Mittsommernacht.
    Er war zu Hause im Hotelzimmer. Zu Hause. Er bestellte eine Flasche Jarzebiak aufs Zimmer und wanderte wie ein ruheloser Geist im Zimmer umher. Bilder vermischten sich vor seinem inneren Auge. Der klare braune Blick des Kommissars Marek Wojtic, der Gigolo bei der Admiralin Wlodarezyk, ihre Einladung, an der Orgie teilzunehmen, der blonde Stripper, der sich aus dem Stringtanga wand.
    Und alles formierte sich. Alles trieb ihn. Der innere Druck, der Zwang, sich aufzumachen.
    Die Bewegungen des Tiers.
    Er begegnete seinem Blick im Spiegel des schäbigen Hotelzimmers. All die Jahre, in denen er nicht gewagt hatte, sich im Spiegel anzusehen, weil er fürchtete, etwas Abgezehrtem, Infiziertem, Verfaultem zu begegnen.
    Was ihm jetzt begegnete, war etwas anderes. Eine Maske. Eine starre Maske. Starr, eingebrannt. Und dahinter war alles abgezehrt, infiziert, verfault.
    Etwas musste geschehen. Er machte sich auf. Blindlings.
    Die Dunkelheit roch nach Abgasen. Er folgte seinen fünf Jahre jüngeren Beinen, und sie fanden den Weg. Nicht eine Sekunde waren sie über den Weg im Zweifel. In diesem Augenblick ging die Mittsommerwoche in ihren mittleren Tag. Es wurde Mittwoch.
    Die Straße hieß Towarowa. Auf der anderen Seite hieß sie Niepodleglosci. Dazwischen lag der Marcinkowskiegopark.
    Eine Weile blieb er am Eingang zum Park stehen. Dantes Pforte. Das Dunkel dahinter. So still. Alle Geheimnisse gehütet. Keine Mitternachtssonne, die sie ans Licht zerrte.
    Er ging hinein.
    Das Tier trieb ihn hinein.
    Zuerst nichts. Als hätte sich alles verändert, wäre gesäubert. Als wäre nichts mehr übrig von der guten alten Zeit.
    Aber dann glitten die Gestalten durch das Dunkel des Parks heran, und alles war gut. Der matte Schein der Straßenlaternen warf ein schwaches, schwaches Licht über die abgelegenen Winkel des Parks.
    Hinter einem Busch ganz in der Nähe hörte er ein wohlbekanntes Geräusch. Das leichte Stöhnen. Er sah einen Mann mit Schirmmütze hinter einem Busch stehen. Der untere Teil seines Körpers wurde vom Busch verdeckt, aber die ruckhaften Kopfbewegungen und der in den dunklen Smoghimmel gerichtete Blick waren unverkennbar. Anderson blieb an einem Baum stehen und beobachtete. Ein Zucken durchfuhr den Mann mit der Mütze, und er gab einen gedämpften Schrei von sich. Kurz darauf tauchte ein weiterer Mann hinter dem Busch auf. Ohne ein Wort gingen die beiden auseinander.
    Er betrat ein kleines Wäldchen. Ein Mann glitt an seine Seite. Kein Gesicht, nur ein leichtes Streichen über die Lenden. Er blieb stehen. Fühlte, wie der Reißverschluss des Hosenschlitzes heruntergezogen wurde. Er spürte, wie er auf der Stelle hart wurde. Der Körper erinnerte sich. Es dauerte nicht länger als eine Minute. Blitze durchzuckten sein Gehirn. Mitten in einem nussbraunen Bannkreis.
    Der Mann verschwand.
    Er ging weiter. Es war jetzt an ihm, aktiv zu werden. Nach einer Weile erkannte er einen Mann im Trainingsanzug. Er hatte ihm den Rücken zugewandt. Niemand sonst in der Nähe. Er trat hinzu und strich leicht von hinten über den Trainingsanzug. Es war fast pechschwarz.
    Der Mann im Trainingsanzug drehte sich um. Sein Blick war ein anderer. Hass und Tod. Und er erkannte ihn.
    Etwas in der Hand.
    Etwas, was selbst im Dunkeln funkelte.
    Die Dehnung der Zeit. Die Langsamkeit in der Bewegung. Alles, was er noch denken konnte. Alle Bilder, die er noch sehen konnte. Viel Tornedalen. Alles durchleuchtet. Die helle Landschaft ohne

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