Ungeschoren
in Musikerkreisen bewegt, kommt man unvermeidlich mit Drogen in Kontakt. Jorge hatte bestimmt vieles gesehen, wahrscheinlich auch den einen oder anderen Zug getan, aber der Verkauf schien in äußerst bescheidenem Umfang und ganz ohne Jorges Verschulden vor sich gegangen zu sein. Wahrscheinlich hatte er versucht, ihn zu unterbinden. Er hatte in Emil Mårdström einen ihm übelwollenden Chef und in Bengt Eriksson einen ihm noch übler wollenden Kollegen. Bei Musikern, Mitarbeitern und Sozialarbeitern genoss er allgemein Respekt.
Doch theoretisch war es immer noch möglich, dass er in irgendeine Form von Drogengeschäft verwickelt war, von dem die offenbar mediokren Figuren in seiner nächsten Umgebung keine Ahnung hatten. Suppan und Gurgel. Es galt, diese Möglichkeit auszuschließen. Dann war sein Job klar. Volle Rückendeckung, falls der Idiot von Angeber auf die Idee käme, sich an die Polizeiführung oder die Presse zu wenden.
Und immer noch war unklar, worum es bei der anonymen Anzeige eigentlich ging.
Ein anderer Teil von Paul Hjelm dachte: War es Jorge wirklich gelungen, Wynton Marsalis und Kenny Kirkland nach Sundsvall zu holen? Das kam ihm gewaltig vor.
Eine Weile saß er im Halbdunkel von Messer-Söder. Die sonderbare Unruhe in seinem Körper hatte sich noch nicht gelegt. Langsam begann er zu akzeptieren, was es war. Er warf einen Blick auf das Buch, das aufgeschlagen neben dem Fax und dem Tonbandgerät lag. Es war ein dunkler, ziemlich dicker Roman mit einem Sternenhimmel auf dem Umschlag. Paul Hjelm gefiel er, ein eigenartiger historischer Roman. Doch etwas anderes zog ihn, etwas, was stärker war als das Buch, eine Unruhe, die der Widerwille dagegen war, allein zu sitzen und deprimiert zu sein, die das Bedürfnis nach Handlung war, die der Sirenengesang des Geschlechts war.
Nein, heute kein Leseabend. Etwas anderes.
Jorge konnte er kaum anrufen. Aus vielerlei Gründen. Und Freunde, die Singles waren, hatte er ganz einfach nicht. Es war an der Zeit, zum ersten Mal seit fünfundzwanzig Jahren das Leben als Single auszuprobieren.
Er stand auf und nahm seinen Anzug von der Garderobentür. Sollte er darin als Single agieren? Verkleidet. Doppelt verkleidet. Nja.
Gleichzeitig überlegte er, wohin er gehen sollte. Es gab verschiedene Lokale im Umkreis von Messer-Söder, aber das kam ihm nicht richtig vor. Lieber gleich aufs Ganze gehen. Das denkbar schlimmste Singlelokal nehmen. Zum Beispiel Stureplan.
Er beschloss, sein abgetragenes Leinenjackett anzubehalten. Und ein T-Shirt. Er konnte nicht als jemand ausgehen, der er nicht war. Den Anzug betrachtete er mehr und mehr als Uniform; auf seltsame Weise hatte er sich im Kreis bewegt und war jetzt wieder im Streifendienst. Mit ein bisschen mehr Geld in der Tasche.
Nein, dachte er. Klar wage ich es. Klar wage ich, ich selbst zu sein und im Sturehof ein Bier zu trinken. Ganz allein.
24
Lena Lindberg war vierunddreißig Jahre alt und wusste, dass sie jünger aussah. Zehn Jahre lang hatte sie dem Bereitschaftsdienst der City-Polizei angehört. Schwedens härtester Job. Und sie war mit intakter Ehre daraus hervorgegangen. Immer freundlich, immer mit einem Lächeln auf den Lippen. Manchmal kam sie sich vor wie eine Stewardess. Als sie auf einem Podium auf Sergels Torg stand und vom Stockholmer Einzelhandel die Auszeichnung ›Freundlichste Polizistin des Jahres‹ entgegennahm, konnte sie sich während der gesamten Zeremonie ein Lächeln nicht verkneifen. Aber das merkte bestimmt keiner.
Auch die Junkies, die sie mit dem hinteren Teil des Schlagstocks traktierte, ahnten es nicht im Voraus. Sie zeigte ihr sexy Lächeln und machte sie fertig. Es war sehr effektiv gewesen.
Vom Podium auf dem Sergels Torg aus erkannte sie einige Schatten hinter den Säulen. Einige abweichende Meinungen. Dass sie keineswegs die ›Freundlichste Polizistin des Jahres‹ war.
Welch eine Befreiung, zur Kriminalpolizei zu kommen. Sich die verdammte Uniform abzustreifen, das Haar offen zu tragen, den blutbesudelten Gummiknüppel fortzuwerfen und ihren gepiercten Bauchnabel zeigen zu können. Der nie aufhörte zu eitern.
Sie stopfte das wenig glamouröse Doppelspiel in den sorgfältig verschlossenen Tresor des Vergangenen und wurde ein neuer Mensch. Eine gute, professionelle Kriminalinspektorin. Sie war im Paradies gelandet. Mit der Superfrau Sara Svenhagen an ihrer Seite und der souveränen Kerstin Holm als Chefin. Besser konnte es nicht werden.
Es war ein Geschenk. Sie wusste
Weitere Kostenlose Bücher