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Ungeschoren

Ungeschoren

Titel: Ungeschoren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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nicht, womit sie das verdient hatte.
    Sie wollte zurückgeben. Sie meinte, bei Kerstin etwas Unfreies zu erkennen, und daran würde sie etwas ändern können. Mit ihrer eigenen Form von Erfahrung.
    Hier lag nämlich ihre Stärke.
    Im Kneipenleben.
    Sie war vierunddreißig und hatte in ihrem ganzen Leben noch keine feste Beziehung gehabt. Es bekümmerte sie nicht im Geringsten. Vermutlich sagte es wenig Schmeichelhaftes über sie aus. Aber das war ihr scheißegal.
    Sie saß mit drei Frauen an einem hinteren Tisch im Erdgeschoss des Restaurants Sturehof am Stureplan und quatschte. Drei Frauen wie sie, Freundinnen von der Polizeihochschule vor zwölf, dreizehn Jahren, eine zwar mit einem Kind, eine andere zwar mit einer Scheidung hinter sich – aber im Grunde glichen sie sich. Der Umgangston war rau, aber herzlich, wie es zu heißen pflegt, wenn Männer sich hemmungslos benehmen. Und das Gespräch drehte sich in betrüblich hohem Maß um Männer. Hass auf Männer – und den verfluchten Hang zu Männern.
    »Frauen verstehen was von Beziehungen«, sagte eine.
    Und es wurde gelacht.
    Okay, es war ziemlich witzig. Eine schreckliche Plattitüde, die in den Medien unaufhörlich wiedergekäut wurde.
    In Wirklichkeit verstanden Frauen nicht mehr von Beziehungen als Männer. Sie waren nur auf ganz andere Weise schlecht.
    Dann kam Kerstin Holm, und alles wurde anders.
    Sie war schön auf die Art einer reifen Frau, dachte Lena, ohne sich des Klischees zu schämen. Ein Hauch von Makeup verstärkte das Dunkle an ihr, der schmale, zarte Körper war unaufdringlich in einfache schwarze Sachen gehüllt. Verhalten und wahrscheinlich wahnsinnig attraktiv für eine bestimmte Sorte Männer.
    »Hej«, sagte Kerstin Holm.
    »Hej«, sagte Lena Lindberg.
    Und danach verschwanden die anderen auf merkwürdige Art und Weise. Kerstin verbreitete etwas um sich, an das Lena nicht gewöhnt war. Man konnte nicht einfach mit ihr quatschen. Es war unmöglich. Auch wenn es lustig war, war es ernsthaft. Lena war sensibel genug, um zu verstehen, dass Kerstin aus einer Erfahrung heraus sprach, der sie selbst sich noch nicht einmal genähert hatte, und sie war klug genug, nicht zu versuchen, sie zu ihrer eigenen zu machen. Es war ganz einfach etwas anderes.
    Es wurde ein vertrauliches Gespräch, ohne jedes Gehabe, und Kerstin, ihre Chefin in der legendären A-Gruppe, erzählte ganz unverblümt aus ihrem Leben. Als wäre es ihr ein Bedürfnis, ohne dabei aufdringlich oder übertrieben selbstbezogen zu sein.
    Der Teil, der von ihrer Beziehung zu einem Kollegen namens Dag Lundmark handelte, war empörend. Lena Lindberg fand sich selbst direkt abgeklärt, vielleicht sogar auf eine urbane Weise zynisch, aber angesichts der Geschichte mit ›Rosenrot‹ fiel es ihr schwer, diese Attitüde aufrechtzuerhalten.
    Am Ende saßen sie nur da, zwei vom Leben ziemlich mitgenommene, aber dennoch intakte Menschen, und betrachteten einander. Aus einem fernen Hintergrund drangen Geräusche herüber. Es war das Rauschen der Außenwelt.
    Schließlich sagte Lena: »Und was ist jetzt? Heute?«
    »Männer, meinst du? Nein, nichts, nicht seit dem Pastor.«
    »Dem krebskranken Pastor? Aber das muss drei Jahre her sein.«
    »In den letzten Tagen habe ich etwas gespürt. Ich weiß nicht richtig, was. Irgendetwas hat sich geöffnet. Eine Art Lebenstrieb.«
    Lena Lindberg beugte sich vor. Normalerweise hätte sie eine hammerharte Bemerkung über den Bedarf nach einem richtig robusten Pferdepenis gemacht, doch das kam ihr vor wie in einem anderen Leben. Sehr vorsichtig sagte sie:
    »Glaubst du nicht, dass du jemanden brauchst? Du musst ja nicht den Rest deines Lebens mit ihm verbringen.«
    Kerstin Holm lächelte schwach. Als dächte sie an jemanden im Besonderen. Und als dächte sie mit einem gewissen Zorn an ihn. »Ich muss jetzt eines«, sagte sie.
    »Was denn?«
    »Aufs Klo.«
    Und damit verschwand sie.
    Sie ging langsam durchs Lokal. Überall waren Menschen. Es war Dienstagabend. Dieses unendliche, nie versiegende menschliche Bedürfnis. Sie hatte ein paar Bier intus und brauchte das Gefühl, dass ihre Schuhe wirklich auf dem Boden aufsetzten. Wie bei einem Menschen, der richtig ging. Mit richtigen irdischen Schritten. Sie kannte Lena Lindberg kaum, dennoch hatte sie ihr alles erzählt. War das richtig gewesen? Warum hatte sie es getan? Gab es einen Hintergedanken dabei, der ihr selbst nicht klar war? Oder war es nur ein elementares Bedürfnis? Sie ging die Treppe zur Toilette

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