Ungeschoren
altersdemente zweiundachtzigjährige ehemalige Admiral Pawel Wlodarczyk und sah sie an mit diesem Blick, der sie frieren machte. Das war alles, was geblieben war, dieser bittende Blick. Vor einigen Monaten, als er noch ansprechbar war, hatte er sich in einem kurzen Moment der Klarheit zu ihr hingewandt und geflüstert: ›Lassen Sie mich sterben.‹ Elzbieta Kopanska starrte auf die Pipette mit dem muskelentspannenden Mittel Pavulon. Ein friedlicher, ersehnter Tod. Ist das so gefährlich? Sie kennt die Methoden der sogenannten Inkassounternehmen. Ein Resultat der Privatisierungswelle im Gefolge der Anpassung an die EU: alte Folterknechte als neureiche Unternehmer. Auch Admiral Pawel Wlodarczyk war ein Teil des kommunistischen Establishments gewesen und hatte die Unterdrückung nicht nur mit getragen, sondern auch gut davon gelebt. In den Ruinen der Unterdrückung vergeudet sie ihr Leben. Sie injiziert Pavulon in die Vene des Admirals. In einem letzten Augenblick von Klarheit lächelt er sie an. Eine Obduktion wird nicht vorgenommen. Gut eine Woche später kommt das Geld. Die Bank ist zufrieden, sie hält sich die Gorillas des Inkassounternehmens vom Leib. Eine Wiederholung wäre möglich.
»Kommissarin? Hallo.«
Kerstin Holm blickte verwirrt zu dem feschen jungen Mann auf. Wer war er? Warum sprach er sie an?
Dann lachte sie und nickte Kriminalassistent Rafael Cazapiewski zu.
»Wollen wir jetzt zu ihm hineingehen?«, fragte er in perfektem Englisch.
»Ja«, sagte sie. »Natürlich.«
Die Pflegeabteilung im Krankenhaus Huddinge machte einen angenehmen Eindruck. Es gab keine Rauchzimmer mehr, deshalb saßen sie draußen auf einem ansprechend eingerichteten Balkon mit Blumen in allen Farben des Regenbogens, die ekstatisch in die Höhe kletterten. Schwester Esbjörn Bolund zählte nämlich zu der schrumpfenden Schar von Schweden, die immer noch zwei Päckchen am Tag rauchten. Ohne Filter.
»Sagt man wirklich Schwester?«, fragte Gunnar Nyberg und musterte den großen Mann, der gerade einen Lungenzug machte und den Rauch fast bis in Flemingsbergs Zentrum blies. Sein etwas feistes Gesicht war an rund zwanzig Stellen durchlöchert. Nyberg wunderte sich, dass der Rauch ihm nicht aus allen Löchern im Kopf quoll.
»Krankenschwester ist in Ordnung«, sagte Schwester Esbjörn Bolund. »Krankenpfleger ist was anderes. Das sind solche, die im Krieg Körperteile aufsammeln und sie zusammenzusetzen versuchen. Wir haben eine dreijährige Hochschulausbildung. Staatlich anerkannte Krankenschwester, inzwischen auch fil. kand.«
»Beim letzten Mal haben Sie anders ausgesehen«, sagte Nyberg.
»Man darf bei der Arbeit keine Ringe und Sachen tragen, wenn Sie das meinen.«
»Sie hatten ein halbes Kilo Metallkram im Gesicht.«
Esbjörn Bolund, der nie unnötig eine Miene zu verziehen schien, gestattete sich die schwache Andeutung eines Lächelns. »Infektionsrisiko«, sagte er.
»Also nehmen Sie sie jedes Mal ab, wenn Sie zur Arbeit gehen?«
»Sind Sie hergekommen, um über mein Gesichtspiercing zu sprechen?«
»Nein, über einen gealterten magersüchtigen Transvestiten mit grau gestreiftem Haar und nur einem Arm.«
Bolund nickte kurz. »Letztes Mal hieß es noch anders. ›Phantasmen‹, nicht wahr?«
»Ich habe mich geirrt.«
»Ich kann Sie zitieren. ›Es müsste ja auch mit dem Teufel zugehen, wenn nicht jeder dämliche Trottel seine eingefleischten Phantasmen auskotzen würde statt der Wahrheit.‹«
»Habe ich ›auskotzen würde‹ gesagt?«, fragte Gunnar Nyberg, der fand, dass die Unterhaltung richtig angenehm zu werden begann.
»Und ›eingefleischte Phantasmen‹«, sagte Esbjörn Bolund.
Die beiden groß gewachsenen Männer fingen offenbar an, sich zu verstehen.
Nyberg zeigte auf eine kleine bunte Flagge, die neben Bolunds Namensschild befestigt war. »Ist das die Gayflagge?«, fragte er.
»Ja«, sagte Esbjörn Bolund und richtete seinen scharfen grauen Blick auf den Polizeiriesen. »Ich sympathisiere mit der Gay-Bewegung.«
»Passiver Sympathisant«, nickte Nyberg.
»Aber klar doch«, sagte Bolund und nahm einen tiefen Lungenzug.
»Kehren wir zu dem Transvestiten zurück.«
»Er war in der Abteilung. Ging herum und sah verwirrt aus. Die anderen hielten ihn für eine alte Frau, aber wenn ich einen erkenne, dann ist es ein Transvestit.«
»Es war also eine gute Verkleidung?«
»Richtig prima. Allerdings hat man in dem Alter ja eine Art Bonus. Von einem gewissen Alter an tendieren die
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