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Ungeschoren

Ungeschoren

Titel: Ungeschoren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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sagte Söderstedt. »Natürlich tust du das.«
    Da hob Kerstin Holm den Blick und richtete ihn fest auf seine Augen: »Wenn es so wäre, würde ich auf jeden Fall nicht mehr sagen. Nicht, bevor ich vollständig klar sehe.«
    »Und um das zu können, fährst du hin? Hat es mit dem Fall zu tun? Der Krankenschwester?«
    »Das werde ich herausfinden. Ich fahre sofort.«
    »Und der neue Fall? Der Oblatenmann im Mälaren?«
    »Ist dein Fall, Arto. Viggo kann allein an dem Fernsehmord weitermachen. Vorläufig. Ich gebe dir die Details, bevor ich fahre. Den Polen zufolge geht in einer knappen Stunde eine Maschine nach Warszawa.«
    Arto Söderstedt nickte. Es war nicht der Moment für Proteste.
    »Fährst du allein?«, fragte Gunnar Nyberg und klappte seinen Laptop auf. Die vier Polen erschienen, einer nach dem anderen. Als wollten sie etwas.
    »Ihr habt anderes zu tun«, sagte Kerstin Holm und raffte ihre Dummies zusammen.
    Gut zwei Stunden später war sie in Warszawa; Europa schrumpfte. Es war fast vierundzwanzig Stunden her, seit sie ihren Sohn gesehen hatte, und zwölf Stunden, seit sie mitten während ihres ersten Sexualakts seit ein paar Jahren das Geräusch splitternden Glases gehört hatte. Viktor, der Lehrer mit dem Flipchart. Und zu ihrer Freude und Verwunderung keine Spur von Scham oder Reue oder schlechtem Gewissen. Sie würden sich wiedersehen.
    Sie hatte Åkesson angerufen, um zu hören, wie Anders zurechtkam. Vickan war am Apparat gewesen. Fast hätte es Kerstin die Sprache verschlagen.
    Vickan. Viktor.
    Scheiße.
    Aber Anders hatte eine wunderbare Nacht verbracht. Mit Vera. In dieser Situation galt es, richtig zu denken. Nicht frei.
    Einen Wagen über die polnischen Autobahnen zu lenken, war eine ganz neue Erfahrung. Sie fuhr sowieso nicht besonders viel, und der Schlingerkurs ihres Miet-Skodas auf Straßen, die die deutsche Autobahn als gesittet erscheinen ließen, hätte sie in schiere Panik versetzen müssen. Aber nein. Sie dachte an anderes. Obwohl sie nie hätte in Worte fassen können, woran sie eigentlich dachte. Es war etwas, was sich formte. Eine Bewegung.
    Die Bewegungen einer unansehnlichen Spinne an einer Zimmerdecke.
    Ein scharfer brauner Blick bohrte sich in den ihren. Sein Inhaber sagte in gepflegtem Englisch: »Das ist schnell gegangen, Kommissarin Holm.«
    Sie beobachtete den eleganten Kommissar Marek Wojcik von der Kriminalpolizei Poznán, einen durchtrainierten Mann um die vierzig mit gepflegtem Schnauzbart und maßgeschneidertem Anzug. Der Mann sah nicht im Geringsten osteuropäisch aus.
    »Sie haben schnelle Autobahnen«, sagte sie und ergriff seine ausgestreckte Hand. »Wie geht es ihm?«
    Sie setzte sich auf den ihr angebotenen Platz vor dem Schreibtisch in Wojciks kleinem Büro.
    »Die Lage ist stabil«, sagte er. »Unverändert. Man kann nur abwarten.«
    »Sie haben am Telefon angedeutet, dass nicht alles mit rechten Dingen … Ein Park?«
    »Der Marcinkowskiegopark«, nickte Wojcik. »Nach Mitternacht dorthin zu gehen, ist ein wenig – speziell …«
    Sie wartete ab. Es musste notwendigerweise eine Fortsetzung kommen.
    Die kam. Wenn auch zögernd.
    »Es ist ein Cruisingpark.«
    »Cruisingpark?«, sagte Kerstin Holm.
    »Wo sich homosexuelle Männer treffen, um schnelle und anonyme sexuelle Kontakte zu haben. Der Marcinkowskiegopark nach Mitternacht ist das gefährlichste Pflaster, auf das man sich in unserer schönen Stadt begeben kann. Schwulenhasser haben leichtes Spiel. Raubüberfälle sind an der Tagesordnung, Gewalttaten nicht minder. Es gedeiht einiges Unkraut in den Ruinen der Diktatur.«
    »Er wurde also beraubt? Von einem Mann, den er versuchte … aufzureißen?«
    »Ist Kriminalinspektor Anderson möglicherweise homosexuell?«
    »Warum?«
    »Weil er sonst im Dienst dort gewesen sein muss. Und dann verändert sich der Fall. Dann muss die Ermittlung in eine ganz neue Richtung gelenkt werden.«
    »Aber er ist doch beraubt worden?«
    »Er ist nicht beraubt worden. Seine Brieftasche und sein Pass waren noch in seiner Tasche. Außerdem fand der Gerichtsmediziner Spuren von …«
    »Ja?«
    »Sperma«, sagte Wojcik und betrachtete seine schwedische Kollegin.
    »Und wo?«
    »An Andersons Hosen.«
    Kerstin Holm saß einen Moment still da. »Ich muss Sie jetzt um absolute Diskretion bitten, Kommissar Wojcik«, sagte sie.
    »Ich verkaufe üblicherweise die Informationen an den Meistbietenden«, sagte Wojcik, ohne eine Miene zu verziehen.
    Sie musste kichern. Jan-Olov Hultin auf

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