Ungezaehmte Begierde
Hand und lief weiter nach oben, wobei er mit dem Messer in der freien Hand nach wie vor in die Luft stach. Das beschäftigte sie nicht so sehr wie die blutenden Wunden an seinen Wangen und seinem Hals, die es eigentlich nicht geben durfte.
Sieh nicht hin. Sieh einfach nicht hin.
Keuchend erreichte sie die oberste Stufe, Schweiß rann ihre Schläfen herab. Während sie den Blick prüfend über das Gelände gleiten ließ, tastete sie aus Gewohnheit nach ihrer Waffe und griff ins Leere. Verdammt.
Etwas erregte ihre Aufmerksamkeit. Hinter einer der Marmorsäulen, die das Denkmal säumten, lugte eine nackte Fußsohle hervor.
»Da«, sagte sie zu Tighe.
Gemeinsam liefen sie los, Delaney außen, Tighe innen an den Säulen entlang, und stießen auf etwas Schreckliches. Delaney schloss kurz die Augen. Als sie sie wieder öffnete, erblickte sie die Leichen eines jungen Paares. Beide waren halbnackt, als wären sie beim Sex überrascht worden. Nun lagen sie nebeneinander, jeder mit einem ovalen Bissabdruck am Hals.
Nicht weit von ihnen entfernt sah sie eine Polizeibeamtin auf dem Boden liegen. Hatte sie die Schreie gehört, eingreifen wollen und war dann vom gleichen Schicksal ereilt worden? Wahrscheinlich. In dem hellen Licht sah sie einen Ehering an ihrem Finger glänzen. Sie war verheiratet.
Vermutlich hatte sie sogar Kinder … die ihre Mutter nun für immer verloren hatten. Entsetzlich.
»Hast du sie gekannt?«
Sie sah auf und bemerkte, dass Tighe sie beobachtete.
»Nein.«
Er nickte. »Ich suche nach ihm.«
Während Tighe weiterlief, beugte sich Delaney über die Polizistin und prüfte ihren Puls. Hier war nichts mehr zu machen, aber die Haut war noch ganz feucht von Schweiß. Der Mord musste gerade erst geschehen sein. Sie nahm die Waffe der Frau, steckte sie in ihren Hosenbund und legte den Saum ihrer Bluse vorsichtig darüber.
Woher hatte Tighe gewusst, dass der Mörder hier war? Hatte er ebenfalls Visionen?
Als sie zu dem jungen Paar hinüberging, sah sie, dass Tighe wieder gegen etwas kämpfte – und wieder von etwas Unsichtbarem verletzt wurde.
Denk nicht darüber nach.
Trotz allem prüfte sie auch bei dem Paar den Puls, konnte aber keinen feststellen. Wieder spürte sie die vertraute Wut darüber, dass Leben so sinnlos vergeudet wurde. Bei Gott, wer auch immer diesen Mord begangen hatte, sie würde ihn fassen.
Sie sah, dass Tighe gerade umdrehte und zu ihr zurückkam, wobei er weiter in die Luft stach und sein Gesicht mittlerweile blutüberströmt war. Er fügt sich die Verletzungen mit den Messern selbst zu. Das war die einzig mögliche Erklärung.
Sie spürte die Waffe an ihrem Rücken. Wenn sie ihn erschießen wollte, dann musste sie es jetzt tun. Noch war er zu weit entfernt, um sie am Abdrücken hindern zu können. Aber ihre Zweifel waren groß. Dass womöglich sie nicht ganz bei Trost war.
Als sie Sirenen näher kommen hörte, ließ sie die Waffe lieber stecken.
Mit angespannter Miene trat Tighe zu ihr hin. »Die sind vermutlich auf dem Weg hierher.«
Delaney nickte. »Die Polizistin ist erst seit wenigen Minuten tot. Wahrscheinlich hat sie den Mord an dem Paar gemeldet, bevor sie ebenfalls überfallen wurde.«
»Dann machen wir besser, dass wir hier wegkommen.«
»Lass mich bitte bleiben. Ich möchte den Cops helfen, ihn zu suchen.«
»Ausgeschlossen.« Er ließ ihr keine Wahl, nahm ihre Hand und schob sie die lange Treppe hinunter und in das Auto hinein. Dann stieg er auf der Fahrerseite ein, schlug die Tür zu und stach immer weiter auf einen unsichtbaren Feind ein. Ein Feind, der unmöglich mit ihnen im Auto sitzen konnte. Es sei denn, es handelte sich um einen Geist.
Der Mann war verrückt. Ob er nun mit dem Mörder gemeinsame Sache machte oder nicht, er war jedenfalls vollkommen irre. Und die Polizei war auf dem Weg hierher. Vorsichtig streckte sie die Hand nach dem Türgriff aus, erreichte ihn jedoch nicht. Denn eines der Messer zuckte dicht an ihrem Gesicht vorbei.
»Wenn du diese Tür öffnest, wird es das Letzte sein, was du tust«, sagte er leise und bedrohlich.
»Okay.« Delaney legte ihre Hand langsam in ihren Schoß zurück und atmete angespannt weiter, während sie beobachtete, wie er ins Nichts stach. Als sie sah, wie die Schnitte in seinem Gesicht wie durch ein Wunder verschwanden, bekam sie runde Augen.
Okay, offenbar sind wir jetzt beide verrückt, oder? Nein, wahrscheinlich litten sie aufgrund der Drogen nur beide unter Halluzinationen.
Ein paar Minuten
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