Ungezaehmte Begierde
irgendwelche Kratzer, die das Blut erklärt hätten.
War es womöglich nicht sein eigenes Blut? Aber wenn seine Kleidung zerrissen war, warum war er dann unverletzt geblieben? Das sanfte Flattern in ihrem Kopf verstärkte sich, als wenn sein Anblick die Engelsflügel darin aufwühlte. Das Gefühl fand sich in ihrer Brust wieder. Als wenn sie sich Sorgen um ihn machte. Als würde, was immer er mit ihr getan hatte, dazu führen, dass sie ihn immer mehr mochte.
Der Griff um ihre Schultern wurde fester. »Wo bist du verletzt, Delaney?«
»Ich bin nicht verletzt, aber ich glaube, dasselbe kann man von dir nicht behaupten.«
Er blickte an sich herunter, als bemerke er erst jetzt, wie er aussah. »Mir geht es gut. Ich habe dir doch nicht wehgetan?«
»Nein. Dein Freund hat mich dort herausgeholt, bevor du irgendwelche Möbel auf mich werfen konntest.« Sie starrte ihn an. »Ich nehme jedenfalls an, dass er dein Freund ist? Großer Gott, einer von ihnen hat dich beinahe umgebracht.«
Tighe stöhnte. »Sie sehen genauso schlimm aus wie ich. Und richtig, ja, es sind meine Freunde. Als sie hörten, dass ich den Laden zusammenschlage, haben sie gerade noch rechtzeitig eingegriffen.« Er ließ ihre Schulter los, um ihr durch die Haare zu streichen. »Der Göttin sei Dank, dass ich dir nichts getan habe.«
Sie war kurz davor, ihm zu sagen, dass er ihre Haare nicht anfassen, sie nicht streicheln sollte, brachte es jedoch nicht über die Lippen. Es fühlte sich gut an. Als würde er sie mögen. Zumindest machte er sich Sorgen, er könnte sie verletzt haben.
»Haben dich die Drogen dazu gebracht, so … auszurasten?«, fragte sie vorsichtig.
Er hielt inne. »Die Drogen?«
Sie seufzte. »Na klar. Hier sind natürlich überhaupt keine Drogen im Spiel. Du wedelst mit deinem Zauberstab und schon hast du die Kontrolle über mich.«
Seltsam, seine Anspannung schien nachzulassen. »Ach. Die Droge.«
»Tighe, hier geht irgendetwas ziemlich Widerliches vor«, sagte sie ruhig und streckte die Hand aus, als wollte sie sie auf seine Wange legen. Sie schreckte kurz zurück. Doch die flatternden Flügel in ihrem Kopf flüsterten ihr zu, dass er ihre Berührung brauchte. Dass er sie brauchte.
Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Warum verschwinden wir nicht beide von hier, Tighe? Ich kümmere mich darum, dass du Hilfe bekommst.«
»Du hilfst mir, nicht wahr, Rehauge?« Tighe hob den Daumen, um ihre Wange zu streicheln, so als hätten ihm ebenfalls irgendwelche Engelsstimmen eingeflüstert, dass sie ihn bräuchte.
Sie brauchte ihn aber nicht. Natürlich nicht. Und dennoch, Himmelherrgott, es gab eine schwache, eine ganz sanfte Seite in ihr, die sich seiner zärtlichen Berührung hingeben wollte. Sie unterdrückte den Impuls, wich aber auch nicht zurück. Er war ohne jeden Zweifel ein brutaler Kerl und sie wollte ihn nicht verstimmen. Jedenfalls nicht, wenn sie unbewaffnet war. In Wahrheit wollte sie sich gar nicht von ihm lösen. Ganz unabhängig von den Engelsstimmen fühlte sie sich zu diesem Mann hingezogen; und das war mehr als nur eine brennende Leidenschaft.
Seine Berührungen waren so zärtlich und seine Stimme klang so warm, dass sie sich gern in seine Arme gekuschelt hätte, um dort etwas Kraft zu tanken und vielleicht auch ein bisschen Trost zu suchen.
War das ein weiterer Hinweis auf Bewusstseinskontrolle oder lag es an ihr? Vielleicht litt sie ja allmählich unter dem Stockholmsyndrom, der Neigung von Entführungsopfern, sich mit ihren Entführern zu identifizieren und Sympathie für sie zu empfinden. Sie wusste nicht, was sie verstörender fand.
Vielleicht war es auch weder das eine noch das andere. Vielleicht entdeckte sie jetzt Seiten an dem Mann, die ihr sagten, dass er ganz anders war, als sie zunächst angenommen hatte.
Er hob die Hand, strich durch ihre Haare und trieb ihr damit sanfte Schauder über ihren Körper. »Ich bin froh, dass ich dich nicht verletzt habe.«
Und, guter Gott, sie glaubte ihm das.
Sein Daumen strich über ihre Unterlippe, und es erregte sie. Sie hielt die Luft an und spürte seinen Blick auf ihrem Mund.
»Ich möchte dich küssen, Rehauge, aber ich will dich nicht wieder zu etwas zwingen.«
Seine Worte verursachten ihr warme Lustschauer, ihre Brüste wurden schwer und ihr Körper sehnte sich danach, seine Lippen auf den ihren zu spüren. Denn was er sagte, bestärkte sie in ihrer Überzeugung, dass der erste Anschein getrogen hatte. Er war nicht böse, sondern nur in etwas
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