Ungezaehmte Nacht
sich ein ums andere Mal wiederholt, und zu wissen, dass sie machtlos dagegen ist? Nach dem, was Sarina mir erzählt hat, war Sophia eine gute Frau, die ihren Mann und ihre Leute liebte. Das kann nicht leicht für sie sein.«
Francesca trat kopfschüttelnd vom Bett zurück und rang die Hände. »Ihr könnt nicht ernsthaft daran denken, mit ihr zu reden. Nicht mal ich habe das je versucht.«
»Hat sie Euch irgendwie Angst gemacht?«, fragte Isabella sanft.
Francesca senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Die anderen haben Angst vor ihr. Sie gehen nicht in ihre Nähe, und sie sprechen auch nicht von ihr. Sie hassen sie für das, was sie getan hat.«
»Nun, ich glaube, es kann nicht schaden, sie zu fragen. Würdet Ihr es versuchen, Francesca? Würdet Ihr sie wenigstens bitten, durch Euch mit mir zu sprechen?« Isabella schlug die Decke zurück und griff rasch nach ihrem Morgenrock, um ihr frivoles Nachthemd zu bedecken. »Mir zuliebe, Francesca. Möglicherweise wäre es das Einzige, was mir das Leben rettet.«
Francesca zögerte für einen langen, angespannten Moment, doch schließlich nickte sie. »Euch zuliebe werde ich es versuchen, Isabella. Aber es könnte sein, dass sie nicht antwortet. Die anderen sind nicht wie wir, und ihr Zeitgefühl scheint sich von unserem zu unterscheiden. Aber ich werde es heute Nacht versuchen.«
»Da ich schon um Gefälligkeiten bitte, brauche ich noch eine mehr. Mein Bruder bedeutet mir alles, und ich weiß, dass Ihr mehr Dinge wisst als andere, vielleicht sogar welche, die nicht einmal der Heiler weiß. Lucca wird bald hier sein, und dann brauche ich jemanden, der mir bei seiner Pflege hilft. Ich werde nicht immer bei ihm sein können, und Sarina hat so viele Pflichten, dass sie sich nicht so um ihn kümmern kann, wie es vielleicht nötig ist. Und leider kenne ich nicht viele andere hier im Haus. Bitte sagt, dass Ihr mir helfen werdet! Und für den Fall, dass mir irgendetwas zustößt, versprecht mir bitte, dass Ihr Euch meines Bruders annehmen werdet!«
Die nachdenkliche Art, wie Francesca an ihrer Unterlippe knabberte, weckte einen leisen Zweifel in Isabella. Vielleicht war sie doch nicht so impulsiv, wie sie zuerst gewirkt hatte. Francesca hatte nicht die Absicht, ihr leichtfertig ihr Wort zu geben. »Nun ja, möglicherweise ist es ja sogar ganz lustig, die Verantwortung für einen Mann zu tragen. Ich kenne ein paar Dinge, die ihm helfen würden … vorausgesetzt, dass ich ihn mag.«
Isabella bedachte das Mädchen mit einem strengen Blick.
Francesca verdrehte die Augen und zuckte mit den Schultern. »Na schön, ich werde Euch helfen, ihn zu pflegen, Isabella. Doch ich hoffe, Euch ist klar, dass Sarina und Nicolai nicht mit Eurer Entscheidung einverstanden sein werden.«
»Ich bin es, die darüber zu entscheiden hat, und nicht sie«, entgegnete Isabella in hochmütigem Ton.
Francesca lachte laut. »Sie halten mich, gelinde gesagt, für ein bisschen verrückt, aber Ihr seid bereit, mir das Leben Eures Bruders anzuvertrauen. Das ist ganz schön ungewöhnlich, kann ich Euch nur sagen.«
Isabella streckte die Hände nach dem erlöschenden Feuer aus, um das plötzliche Frösteln abzuwehren, das ihr über den Rücken lief. »Warum sollten sie Euch für verrückt halten? Wir beide können doch nicht die Einzigen sein, die das Geheul nachts hören.«
»Alle hören sie heulen, weil die ›anderen‹ wollen, dass sie sie hören. Anfangs war es nur ein Streich, ein Scherz, um sich die Zeit zu vertreiben, wenn sie sich langweilten, aber ich glaube, heute wollen sie alle daran erinnern, dass sie noch immer hier im Tal sind, eingeschlossen darin wie der Rest von uns.«
Etwas Undefinierbares in Francescas Gesicht, ihren viel zu intelligenten Augen und an ihrem Mund und Kinn faszinierte Isabella. In der zunehmenden Dunkelheit versuchte sie, etwas schwer zu Erfassendes zu erkennen, das sich ihr jedoch entzog.
»Was tust du hier?« Die Frage war barsch und anklagend, und sogar eine leise Drohung schwang in der Stimme mit.
Beide Frauen fuhren zu Nicolai herum, als er auf seine übliche lautlose Weise aus dem Geheimgang trat. Sichtlich verärgert durchquerte er den Raum und stellte sich beschützend zwischen Francesca und Isabella. Etwas Beunruhigendes lag in seiner ganzen Haltung und dem grimmigen Zug um seinen Mund.
Francesca wich vor ihm zurück und hob beschwichtigend die Hände. »Wir haben nur geplaudert, Nicolai, mehr nicht.«
Von dem jähen Drang erfasst, Francesca zu
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