Ungezaehmte Nacht
unkonventionell und fantasievoll, und sie schien etwas Magisches an sich zu haben. Vielleicht lag es aber auch daran, dass Isabella sich in ihrer Nähe immer wohlfühlte. »Ich sehe und höre alle möglichen Dinge. Ich würde es wissen. Sie hat überhaupt keinen Grund zur Sorge.«
»Und Sergio?«, fragte Isabella neugierig, obwohl sie wusste, dass sie sich nicht für Klatsch interessieren sollte.
Francesca schüttelte den Kopf. »Er schaut nur hin, aber mehr auch nicht. Ich glaube, er würde für Violante töten. Sie ist nur zu dumm, um es zu sehen. Ich sage Euch doch, dass Frauen den Verstand verlieren, wenn sie erst einmal verheiratet sind. Für einen Mann würde ich nicht aufgeben wollen, was und wer ich bin.«
»Nicht jeder hat Euer Selbstvertrauen«, gab Isabella zu bedenken. »Ihr seid manchmal regelrecht beängstigend selbstbewusst. Aber warum sehe ich Euch eigentlich nie tagsüber?«
Francesca lachte fröhlich. »Ich will keine Aufgaben übertragen bekommen oder mich geziemend kleiden müssen. Ich ziehe es vor zu gehen, wohin ich will. Die Leute halten mich für ein bisschen ›überspannt‹, wisst Ihr.« Ihre dunklen Augen funkelten. »Ein solcher Ruf gewährt mir Freiheit.«
»Und warum halten Sie Euch für ›überspannt‹«?, fragte Isabella.
Francescas Lachen erstarb, und sie sprang auf, um nervös im Zimmer hin und her zu laufen. »Wir sind doch Freundinnen, oder?«
»Ich denke doch, dass wir sogar sehr gute Freundinnen sind.«
Francesca blieb nicht weit entfernt von ihr stehen und beobachtete sie aufmerksam. »Ich kann mit den anderen reden. Ich tue es die ganze Zeit.«
Isabella konnte sehen, wie nervös Francesca war, deshalb ließ sie sich Zeit und wählte ihre Worte mit Bedacht. »Mit ›den anderen‹? Ich bin nicht sicher, dass ich verstehe, was Ihr meint.«
»Ach, natürlich versteht Ihr das!« Francesca verschränkte die Finger. »Ich meine die, die nachts den Lärm draußen veranstalten. Sie sind alle in diesem Tal gefangen und können nicht von hier fort, wenn Ihr sie nicht herauslasst.«
Isabella blinzelte verwirrt. »Ich? Kommt, setzt Euch zu mir, piccola , und erklärt mir das!« Sie klopfte einladend auf das Bett. »Ich will nicht, dass Ihr wieder verschwindet. Ihr seid so schnell, und ich habe keine Lust, Euch durch den Geheimgang nachzurennen.«
Francesca lachte. »Ihr würdet mich sowieso nicht einholen.«
»Das weiß ich, und ich habe genug Missgeschicke für ein ganzes Leben gehabt, also bleibt bitte und redet mit mir! Wer sind ›die anderen‹?«
»Geister. Sie sind hier gefangen, bis Ihr sie freilasst. Diejenigen, die hier im Tal geboren wurden, können nicht für allzu lange von hier fortgehen, ohne zu verkümmern. Und selbst dann kehren sie ins Tal zurück, bis die Frau, die ein DeMarco liebt, uns alle von dem Fluch befreit.«
Isabella konnte sehen, dass Francesca glaubte, was sie sagte. »Also haltet Ihr die Geschichte, die Sarina mir erzählt hat, für wahr, die Geschichte von Sophia und dem Fluch, mit dem sie angeblich die DeMarcos und das Tal belegte?«
Francesca sah sie ruhig an. »Ihr nicht, Isabella? Ihr seht Nicolai als Mann, doch Ihr wisst, dass die meisten Leute in diesem Tal ihn als wildes Tier sehen. Und warum kann er sich mit den Löwen verständigen, wenn die Legende nicht wahr ist? Ihr wisst, dass sie es ist. Und Ihr wisst auch, dass Ihr Nicolai DeMarcos Braut sein werdet. Alle Menschen hier, sogar die Kinder, haben von dem Fluch gehört und sind davon überzeugt, dass Ihr unsere einzige Rettung seid. Wenn Ihr scheitert …« Francesca brach erschaudernd ab.
Isabella fuhr sich mit den Händen durch das Haar und rieb sich nervös die Schläfen. »Ihr sagtet, Ihr könntet mit den ›anderen‹ reden. Seht Ihr sie auch, Francesca?«
»Nicht so, wie ich Euch sehe. Hauptsächlich rede ich mit ihnen.« Francesca klang ein bisschen aufsässig, als erwartete sie, dass Isabella versuchen würde, ihr ihre ›abstrusen‹ Vorstellungen auszureden. »Habt Ihr je mit Sophia gesprochen?«
Francesca machte ein erschrockenes Gesicht. »Ihr denkt doch wohl nicht, Ihr könntet sie irgendwie dazu bringen, mit Euch zu reden? Niemand hat das je gewagt. Sie weiß Dinge, die andere nicht wissen. Sie ist eine mächtige Frau, Isabella.«
»Allenfalls ein mächtiger Geist , Francesca«, stellte sie klar. »Sie gehört nicht mehr hierher, und sie wird doch sicher ruhen wollen. Denkt Ihr nie daran, wie furchtbar es für sie sein muss, mit anzusehen, wie die Geschichte
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