Ungezaehmte Nacht
muss.« Im flackernden Licht des Feuers sah sie wie eine schöne, feenähnliche Kindfrau aus. Sie kam auf Zehenspitzen in das Zimmer. »Wo ist er hingegangen?«
»Ich glaube, er hörte jemanden und ging, um nachzusehen«, improvisierte Isabella, weil Nicolai bestimmt nicht wollte, dass sie Francesca die Wahrheit sagte. Sie setzte sich auf, zog die Decke über sich und lächelte das junge Mädchen an. »Ihr verschwindet immer so schnell, Francesca, und ich kann Euch nirgendwo im Palazzo finden.«
»Ihr hattet Besuch«, gab sie zu bedenken. »Und von jetzt an werde ich immer vorsichtig sein müssen, oder er erwischt mich hier.«
»Ihr habt mir gefehlt. Ich war heute draußen und habe mir in der Stadt mit anderen meine allererste Schneeballschlacht geliefert. Und gestern habe ich beim Training der Pferde zugesehen.« Sie schwieg einen Moment und zupfte an der Daunendecke. »Und ein Löwe hat mich gejagt.«
»Was?« Francesca fuhr herum, und ihre dunklen Augen funkelten vor unerwarteter Wut. Isabella hatte noch nie auch nur einen Anflug von Ärger bei der jungen Frau gesehen. »Das ist nicht möglich! Alle Löwen wissen, dass Ihr diejenige seid.«
»Doch zumindest einer der Löwen will nicht, dass ich diejenige bin«, versetzte Isabella spöttisch.
Ein Ausdruck der Verärgerung huschte über Francescas Gesicht, aber dann verflog er, und auch ihre Wut verging so plötzlich, als wäre sie nur Einbildung gewesen. Das Mädchen lächelte Isabella an. »Ihr wart mit Nicolai im Bett, nicht wahr? Wie ist das? Ich habe schon daran gedacht, einen der Besucher zu verführen – einen jungen, gut aussehenden, der es niemandem erzählen und schnell wieder fort sein würde –, nur um zu sehen, wie es ist. Doch der Gedanke, dass jemand mich so intim berührt, hat mich immer irgendwie gestört. Tut es weh? Mögt Ihr es, wenn Nicolai Euch berührt? Lohnt es sich, dafür einen Diktator zu ertragen, der die Herrschaft über Euer ganzes Leben übernimmt?«
Isabella hätte eigentlich schockiert sein müssen, dass Francesca solch ungebührliche Fragen stellte. »Nicolai ist keineswegs ein Diktator, und von ›ertragen müssen‹ kann auch keine Rede sein. Wie könnt Ihr so etwas sagen, Francesca?«
»Dann wird er es noch werden. Alle Ehemänner beherrschen ihre Ehefrauen. Und sobald ihre Ehefrauen das Bett mit ihnen teilen, wird die Frau dumm und eifersüchtig und scharwenzelt ständig um ihren Mann herum, um alle Rivalinnen von ihm fernzuhalten. Ihr Mann kann vielen Frauen beiliegen, doch wenn sie so etwas tut, wird er sie schlagen oder enthaupten lassen. Deshalb wird die Frau zu einem Dummerchen. Ist die Ehe ein solches Schicksal wert?«
»Ihr habt ja eine furchtbare Einstellung zur Ehe! Und ich bezweifle, dass die meisten Frauen so eifersüchtig sind.«
Francesca zuckte die Schultern und grinste. »Violante ist eifersüchtig auf jede Frau, die Sergio ansieht, aber im Grunde ist sie nicht die Einzige. Ich beobachte die Leute, Isabella. Ihr wollt nur das Gute in den Menschen sehen und ignoriert das Schlechte. Die meisten Frauen mögen es nicht, wenn andere ihren Mann anschauen. Rolando sieht nie andere Frauen an, und trotzdem ist Theresa sehr, sehr eifersüchtig. Sie ist sich sogar sicher, dass er eine andere gefunden hat.«
Isabella blickte auf. »Woher wisst Ihr das?«
»Ihre Brüder unterhielten sich darüber und hatten keine Ahnung, dass ich sie belauschte. Sie hatten an den Wasserfällen angehalten, um zu essen, und ich hielt mich vor ihnen verborgen. Wahrscheinlich haben sie sie vor ein paar Tagen heulend angetroffen, und sie hat es ihnen erzählt. Sie sagten ihr, das könnte nicht sein – sie sind ja oft mit ihm zusammen –, doch sie schien sich sicher zu sein.« Francesca schüttelte den Kopf. »Wenn ich einen Mann hätte, würde ich mir wegen so etwas nicht den Kopf zerbrechen. Wenn er eine andere wollte, könnte er zu ihr gehen, aber ich würde ihn nie wieder in mein Bett zurücklassen.« Sie betrachtete ihre Fingernägel. »Was hat man davon, mit einem Mann zusammen zu sein und es nicht zu genießen, weil man andauernd wütend oder beleidigt ist? Das ist doch albern. Und Theresa Bartolmei ist sogar noch mehr als albern.«
»Ihr glaubt also nicht, dass Rolando eine andere hat?«
Francesca setzte eine etwas hochmütige, sehr aristokratische und überlegene Miene auf. Isabella ertappte sich bei einem Lächeln, weil sie die Züge der DeMarcos wiedererkannte. War sie wie Theresa eine von Nicolais Cousinen? Sie war sehr
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