Ungezaehmtes Verlangen
dir die Wahrheit zu sagen, das ist auch für mich die erste Inthronisierung. Ich bin ungefähr zur selben Zeit auserwählt worden wie Beatrice, aber ich habe den Weg zum Haus der Krieger erst gefunden, nachdem sie bereits den Thron bestiegen hatte.«
Der kühle Wind strich über Karas Gesicht und löste eine Strähne aus ihrem Pferdeschwanz. Sie schob sie hinter das Ohr. »Wenn du selbst noch nie bei einer Inthronisierung dabei warst, warum hat Lyon dann ausgerechnet dich geschickt, um mich darauf vorzubereiten?«
Hawke lächelte in sich hinein. »Ich weiß, was getan werden muss. Bis Foxx kam, war ich der Jüngste unter den Kriegern. Ich habe eine Menge Zeit damit verbracht, alles über unsere Art, unsere Kraft und unsere Rituale zu lernen. Manchmal denke ich, ich weiß viel mehr als alle anderen, obwohl sie schon wesentlich länger dazugehören. Ich weiß wirklich sehr genau, was zu tun ist.« Er zuckte mit den Schultern und lächelte bescheiden. »Ich bin der geborene Schüler. Und ich bin früher einmal Lehrer gewesen.«
Jetzt hatte er Karas ganze Aufmerksamkeit gewonnen. »Ich auch. Hast du Kinder unterrichtet?«
»Ja, aber therianische Kinder sind sehr selten, sodass ich nie mehr als einen Schüler zur gleichen Zeit hatte.«
»Wann war das?«
»Kurz nach dem Bürgerkrieg der Menschen.«
Kara starrte ihn an. Sie wusste zwar, dass sie unsterblich waren. Doch allmählich dämmerte ihr auch, was das bedeutete. Der Mann sah nicht älter aus als dreißig. »Wie alt bist du?«
»Etwas über einhundertfünfzig Jahre.« Er dachte einen Augenblick nach. »Einhundertsiebenundfünfzig, um genau zu sein.«
Und er war der Zweitjüngste hier! »Und die anderen?«
Er tippte mit dem Finger auf ihre Hand. »Leg deine Handflächen auf den Felsen.«
»Warum denn? Damit der Felsen mich kennenlernen kann?«
Er grinste. »So ungefähr.«
»Wie alt ist Lyon?«
»Ich glaube, knapp siebenhundert Jahre.«
»Siebenhundert?«
Hawke nickte und sah sie verschmitzt an. »Und er ist nicht mal der Älteste.«
»Wer ist das dann?«
»Kougar. Aber keiner weiß genau, wie alt er tatsächlich ist.«
»Sagt er es euch denn nicht?«
»Kougar ist nicht besonders mitteilsam.« Hawke beugte sich vor, legte seine Hände auf ihre und presste ihre Handflächen fest auf den Felsen. Seine Berührung wirkte zwar herzlich, aber zugleich unverbindlich.
»Du bist nicht so gefühlsbetont wie die anderen.« Als sie bemerkte, dass sie den Gedanken laut ausgesprochen hatte, verzog sie etwas verlegen das Gesicht.
Hawke schien sich jedoch nicht angegriffen zu fühlen. »Wie mein Name schon sagt. Wenn ich die Gestalt wandele, bin ich ein Falke. Wir sind von Natur aus nicht so zutraulich wie Katzen und Hunde. Früher haben die verschiedenen Linien der Gestaltwandler getrennt voneinander gelebt. Katzen und Hunde lebten in Rudeln zusammen. Heute gibt es zwar keine Rudel mehr, aber die Krieger suchen immer noch Körperkontakt zueinander. Die Schlange und ich allerdings weniger. Und Lyon fast überhaupt nicht.«
»Aber Lyon ist eine Katze. Zu ihm würde es doch eigentlich passen.«
»Ja, das stimmt. Niemand weiß, weshalb er nicht so ist. Ich persönlich glaube, dass es daran liegt, wie er aufgewachsen ist. Niemand kennt die genauen Umstände, aber es heißt, dass er auf der Straße und ohne Familie groß geworden sei. Er ist zwar ein Therianer, aber er war trotzdem ein Kind – und alle Kinder brauchen eine Familie.«
»War er denn jemals verheiratet?«
»Gebunden? Nein. Die wenigsten Krieger binden sich, abgesehen natürlich von demjenigen, der für die Strahlende ausgewählt wird. Bei den Therianern binden sich allerdings überhaupt nur wenige.«
»Wie kommt das?«
»Eine Bindung dauert ein ganzes Leben. Und wenn du so lange lebst wie wir, dann ist das ein Versprechen, zu dem die wenigsten bereit sind. Wie die meisten anderen werde auch ich mich nur binden, wenn ich einer Frau begegne, ohne die ich nicht mehr leben kann. Das ist mir bislang aber nicht passiert. Ich habe Beziehungen, das schon. Ich genieße sie auch, aber nur bis ich ihrer überdrüssig werde, dann ziehe ich weiter. So ist das bei uns. Eine lebenslange Bindung kommt nur sehr selten vor.«
»Aber fühlst du dich dann nicht einsam?«
Hawke zuckte gelassen mit den Schultern. »Wenn man mit zehn Personen zusammenlebt, fühlt man sich nicht so schnell einsam.« Er klopfte auf ihre Finger. »Spürst du irgendetwas unter deinen Händen?«
»Der Felsen wird warm, aber das war
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