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Ungleiche Paare

Titel: Ungleiche Paare
Autoren: Dietmar Bittrich
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geschlossen. Die vergilbte Speisekarte hatte sich in ihrem Glaskasten eingerollt. Ins Fenster, zwischen schief hängenden Gardinen, hatte ein Makler sein Schild geklebt. Der Geheimtipp, den Hannah von einer unbürgerlichen Malerfreundin bekommen hatte, musste historischen Datums sein.
    »Lass uns zu dir fahren«, bat sie.
    Ich war mit dem Bus von der Uni gekommen. Sie hatte ihr Auto in einer Nebenstraße geparkt, im klebrigen Schatten einer Linde. Ich mochte kaum die Tür öffnen. Nun ging es weiter.
    Sie war eine vorsichtige Autofahrerin, zaudernd und übertrieben rücksichtsvoll. Anderen, deren Adrenalin in der Wärme kochte, gab sie willfährig nach. Resigniert ließ ich mich von diesem Verkehrshindernis chauffieren. Zu ihrem Ziel, meiner Wohnung.
    Mit einiger Überwindung hätte ich, wie ihre Tochter, um eine Pause bitten können: Ich bräuchte im Moment etwas Abstand. Nur hätte Hannah gewusst, dass es sich nicht um eine Pause handeln konnte. Und für Schmerz wollte ich nicht verantwortlich sein oder wenigstens nicht verantwortlich gemacht werden. Es fehlte jemand, der mich zu diesem verletzenden Schritt angespornt hätte, ein enger Freund – aber bislang wusste keiner davon. Besser noch eine andere Frau. Die gab es erst recht nicht.
    So stiegen wir das renovierungsbedürftige Treppenhaus empor, in dem sich die Wärme von Stockwerk zu Stockwerk verdichtete, bis zu meiner Wohnung unter dem Dach. Kein Nachbar begegnete uns. Beim schwerhörigen Frührentner unter mir lief der Fernseher. Kein Grund zu erhöhter Vorsicht.
    »Möchtest du duschen?«, fragte ich, während ich aufschloss.
    Die kleine Wohnung hatte sich dumpf aufgeheizt. Die Vorhänge ließen nur fahles Zwielicht herein, das durch den Staubgeruch noch undurchdringlicher zu werden schien. Während Hannah sich im Badezimmer mit den altertümlichen Armaturen vertraut machte, blieb mir Zeit, die Fenster aufzureißen, T-Shirts und Socken in den Schrank zu stopfen, Zeitungen unter der Spüle verschwinden zu lassen, das Bett zu beziehen. Ich tat es hastig und bedrückt. Es war nichts zu spüren von der Leichtigkeit, mit der ich zur herrschaftlichen Villa geeilt war, als Liebhaber einer wartenden Lady, Knappe der Gräfin, Knecht der Gutsfrau, als Boy vom erotischen Lieferservice, der die bestellte Portion brachte und sich, ohne sich ins Gästebuch einzutragen, wieder verabschieden durfte.
    Hier nun war ich haftbar. Diese Sphäre offenbarte etwas von mir, etwas, das mit Glanz nichts zu tun hatte. Es beendete die Geschichtslosigkeit. Diese zwei ineinandergehenden Zimmer mit Sammlungen ungeordneter Versuche, die verrutschten Bücherstapel, die archäologisch herausfordernden Schichten auf dem Schreibtisch, die schief tapezierten Wände samt betagten Plakaten und schwarzen Staubfäden, die aus den Ecken der Dachschrägen hingen und sich nach rätselhaften Gesetzen träge bewegten.
    Eine unerwünschte Rolle wuchs mir hier zu. Jederzeit aufbrechen und fortgehen zu können, das entbindende Klacken der Gartenpforte hinter mir zu hören, im Umdrehen noch einmal lässig zu winken, das Gesicht schon im Elbwind, und mich dann frei zu fühlen, das war für immer vorbei. Der magische Schwebezustand, in dem über Zukunft nicht geredet wurde und die Vergangenheit aus Anekdoten bestand, ließ sich nicht halten. In der eigenen Wohnung war ich einer der Zauberer, deren Tricks im Fernsehen verraten wurden; alles zerfiel zu Technik, Täuschung und Ablenkungsmanövern.
    Sie kam nackt aus dem Badezimmer, eines meiner bröseligen Handtücher um den Leib geschlungen, knapp die Brüste bedeckend, wie sie es in amerikanischen Filmen gesehen haben mochte. Sie bemerkte mein Grübeln und fragte nicht. Sie schickte mich nicht mal zum Duschen. Sie war glücklich genug so, jetzt, in meiner Burg. Als sie sich im Bett, das aus einer überbreiten Matratze bestand, auf mich schwang, war sie schon beinahe eingezogen.
    »Du brauchst neue Vorhänge«, sagte sie, als wir in kühlendem Schweiß nebeneinanderlagen. »Oder du musst die alten waschen.«
    Ein paar Tage später brachte sie neue Vorhänge. Dann kam sie mit neuen Gläsern, einfachen Weinkelchen und hohen für Longdrinks. Etwas später hatte sie Handtücher dabei, zuerst fürs Bad, anschließend für die Küche. Sie brachte Besteck, kein graviertes Silber, aber etwas Ansehnliches, das ihrer Bauhausneigung entsprach, und davon gleich einen vollständigen Satz. Damit hätte sie bei einem gesetzten Essen die beiderseitigen Familien und
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