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Ungleiche Paare

Titel: Ungleiche Paare
Autoren: Dietmar Bittrich
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nicht einmal forthuschten, waren aufgestiegene oder abgesunkene Anthroposophenseelen.
    Als an einem Abend Eros und Spiritualität das Thema gewesen war und ausgerechnet der warmherzigste Teilnehmer unbeirrbar festgelegt hatte, Sex sei dem Menschen zur Fortpflanzung gegeben und zu nichts anderem, sei darüber hinaus Energievergeudung auf Kosten der geistigen Entwicklung und führe in die Abhängigkeit, und nachdem die anderen diese These beredt hin und her gedrehthatten, hatte sich Wut in meinem Schweigen gestaut. Ich traute mir nicht zu, den Mann rhetorisch zu widerlegen. Ich musste es gleich nach der Runde tun, und nicht nur ihn, sondern alles Höherstrebende und himmelwärts Verzweigte, dem meine Studentenschlauheit nicht folgen wollte.
    Auf den Boden ziehen wollte ich es, geradewegs hier auf die würzige Erde, auf denselben weichen Rasen, auf dem sich die Kaninchen vergnügten, gleich hinter dem französischen Garten, dessen nachtduftende Blüten die Süße dazu spendeten.
    »Komm, komm her!«
    Hannah blickte sich unschlüssig um. Ich hätte nichts gegen späte Zeugen gehabt, etwa eine Frau mit Restlichtverstärker im Fernglas. Hannah wünschte sich Schutz und Geräuschlosigkeit. Ich konnte meine Sommerjacke opfern und als Unterlage ins Dunkel unter die alten Rhododendren schieben. Hannah ließ sich nicht ganz entkleiden, aber doch so, dass ich mich in die Vorstellung steigern konnte, ihr Gewalt anzutun, rasch und heftig, ein entflohener Sträfling, im Gebüsch, dass schlafende Vögel aufflatterten; und ihr den Geist auszutreiben, nicht nur ihr, sondern allen Wahrheitssuchern, ihnen den Beweis entgegenzuhalten, dass alles Streben immer nur einmünden konnte in dieses hier, in diesen Augenblick auf zerknautschtem Stoff und taufeuchter Erde.
    Sie atmete mühsamer als sonst und stöhnte leiser. Ekstatisch war sie nie gewesen. Weder schreiend noch zuckend hatte ich sie erlebt, erst recht nicht um sich schlagend oder auch nur sich windend. Anders, als ich nach meinen Leinwanderlebnissen erwartet hatte, genoss sie still, fallssie es überhaupt tat. Ich war nie sicher und vermied es, zu fragen. Nur dieses hier genoss sie nicht, das war gewiss. Sie nahm es auf sich als Versuch eines Abenteuers, als Wagnis, als Experiment in Jugendlichkeit, und vor allem, um mir einen Liebesdienst zu erweisen.
    »Wow, das war irre«, murmelte ich schwach.
    Sie bestätigte es nicht; sie streichelte nur. Hoch oben, über den noch glimmenden Himmel, glitt mit fernem Säuseln ein spätes Flugzeug, rot beschienen. Von dort oben spähten Heimkehrer auf die dunkle Erde hinab und suchten in den verwobenen Lichterschnüren der Stadt ihr Viertel oder das ihrer Freunde und sahen am dunklen Band des Flusses ein unbeleuchtetes Viereck mit ausfransenden Rändern, das war der Hirschpark. Dort verbarg sich ein fragwürdiges Paar.
    Wir kleideten uns stumm an und tasteten uns durch die Zweige auf den Weg, vorsichtig auftretend, als käme es plötzlich darauf an, niemanden zu stören und von niemandem angesprochen zu werden. Der Sand knirschte überlaut, als wir unter schwarz aufragenden Bäumen das Wildgehege umwanderten, immer am grobmaschigen Zaun entlang, hinter dem die Konturen der Tiere zu ahnen waren, in schlaftrunkener Bewegung oder so statuarisch, dass sich nicht sagen ließ, ob es nicht Futterkrippen oder Baumstümpfe waren. Als unmittelbar neben uns ein Schnauben erbebte, schraken wir zusammen; es kam von jenseits des Zaunes, das geisterhafte Wesen blieb unsichtbar.
    Wir gelangten an den Beginn des schmalen Pfades, der oberhalb der Villen aus dem Park herausführte und in die kleine zur Elbe abfallende Straße mündete, in der sie wohnte. Am Parkausgang stand eine trübe Laterne, unterder Hannah zu prüfen versuchte, ob Spuren an ihr geblieben waren, von Gras oder Erde oder von mir. Sie musste immer aufpassen und etwas verbergen, wurde mir klar. Ich hatte den leichteren Part, und mit diesem Überfall im Park hatte ich ihr keinen Gefallen getan. Wir küssten uns, weniger überzeugend, als sie es ersehnte, denn ich war unsicher geworden nach meiner Vorstellung. Dann winkte ich in die dichter fließenden Schatten und war frei, zu gehen.
     
    Als ich ein paar Tage später ihre Freundin kennenlernte, in einer Ausstellung spielzeugbunter amerikanischer Serigraphien, kam sie mir jünger vor als Hannah. Sie war vom gleichen Jahrgang, aber unabhängiger; sie hatte nie geheiratet. Malerin sei sie, mit Einkünften aus einem, wie Hannah meinte, barmherzigen
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