Ungleiche Paare
hatte. An einem langweiligen Nachmittag unter irgendeinem Sonnenschirm musste sie sich mit ihrer Freundin zu dieser Fließbandarbeit aufgerafft haben.
Ihre Zurückhaltung am Telefon erklärte ich mir mit meiner eigenen Befangenheit. Ich konnte nicht herzlich sein. Sie im Haus zu besuchen, im Haus der Mutter, war unvorstellbar. Aus Gewohnheit verabredeten wir uns fürs Kino. Damit sie nichts wittern und nichts erschnuppern konnte, wusch ich mich wie ein Gläubiger bei der rituellen Reinigung vor Betreten des Tempels. Ich suchte Kleidung zusammen, die ich bei der Mutter nie getragen hatte.
Und dann zeigte sich, dass ich nichts verteidigen musste. Bei ihr selbst war etwas vorgekommen, dass sie geheim halten wollte. Sie fremdelte. Sie zog die Schultern hoch, wenn ich den Arm um sie legte. Ich musste mir keine Mühe geben, sie glaubwürdig zu küssen. Sie erlaubte es nicht.
»Ich glaube, es ist besser, wenn wir uns eine Weile nicht sehen«, eröffnete sie mir. »Ich brauche einfach mal eine Pause.«
»Das verstehe ich nicht«, behauptete ich, und um den Schmerz stärker zu spüren: »Es muss doch einen Grund geben.«
»Muss es das?«, fragte sie. »Vielleicht gibt es gar keinen.«
Also hatte sie etwas erlebt da unten bei den jungen Spaniern, die in den Ferienorten an weißen Mauern lehnten und auf Touristentöchter warteten, auf amüsiersüchtige Beute am Strand, im Eiscafé, in einer Disco um Mitternacht, während die Eltern, von Rioja in den Tiefschlaf gesenkt, ihre Aufsichtspflicht versäumten. Einem Nachkommen naturkrauser Stierkämpfer hatte sie leichten Herzens erlaubt, was sie mir mit nachgeplapperten Bedenken und angeblichen Gewissensbissen verweigert hatte. Einem Macho hatte sie sich hingegeben, der mit Flamencostiefeln auf den Boden stampfte und herrisch ihre Unterwerfung verlangte. In Deutschland hätte sie Alarm geschrien, dort war sie berauscht und fügsam hingesunken.
»Ist denn irgendetwas vorgefallen?«, forschte ich.
»Lass, frag nicht weiter. Ich möchte einfach eine Weile für mich sein.«
Was für eine beklemmende Befreiung! Bislang hatte ich mich als Verräter empfunden. Das fühlte sich nun anders an. Schadenfrohe Liebesgötter hatten die Fäden gezogenund hatten mich und sie, während wir einander nicht sehen konnten, zu fremden Partnern dirigiert. Wir hatten es beide geschehen lassen. Sie schien verwandelt und gestärkt durch ihr Ferienabenteuer. Meine Affäre drohte zu einem Verhältnis auszuhärten, falls ich sie nicht beendete.
»Es war eigentlich ganz leicht«, berichtete ich Hannah am folgenden Tag, als hätte ich die Trennung selbst herbeigeführt. »Wir hatten beide das Gefühl, wir würden jetzt lieber eigene Wege gehen.«
Eigene Wege gehen, getrennte Wege gehen, sich über Gefühle klarwerden, Freunde zu bleiben versuchen; obwohl ich das erste Mal so redete, kamen mir die Worte bereits kraftlos vor.
Wir wanderten durch ein räudiges Stadtviertel mit Secondhandläden, Gebrauchtfernseher-Händlern und Imbissbuden. In einem dieser mit Graffiti besprayten Blocks sollte sich ein gepriesenes indisches Restaurant befinden, ein sogenannter Geheimtipp. Auf jeden Fall war die Gegend weit genug entfernt von Hannahs Haus, weit auch von meiner Wohnung. Eine Begegnung mit der Tochter oder einem ihrer Klassenkameraden war unwahrscheinlich. Und doch gingen wir sicherheitshalber wie Geschäftsfreunde nebeneinander, ohne uns auch nur versehentlich zu berühren.
»Sie hat sich in Spanien verliebt«, erzählte Hannah unaufgefordert und ohne eine Spur des Mitgefühls. »Dein Foto ist von ihrem Schreibtisch verschwunden. Sie hat wohl viel Zeit mit einem gewissen Jaime verbracht. Seine Fotos stehen überall. Er sieht tatsächlich eindrucksvoll aus.«
»Oh, das ist in Ordnung«, log ich. »Wirklich, ich gönne es ihr.« Wenn seelischer Schmerz das Leben verkürzte, war meine Lebenserwartung gesunken. Beabsichtigte Hannah das? Sollte ich ihr im Eiltempo nachaltern? Oder warum erzählte sie mir von diesem Jaime? Schwang sogar Triumph mit in ihrer Schilderung? Was sollte der Kommentar über das eindrucksvolle Aussehen?
»Ich glaube, das ist gut für uns, für dich und mich«, versicherte ich. »So brauchen wir kein schlechtes Gewissen mehr zu haben.«
» Du brauchst kein schlechtes Gewissen zu haben«, korrigierte sie.
Richtig, sie hatte immer noch Grund dazu. Sie hatte ihren Mann. Und den sollte sie auch behalten. Ich wollte lediglich einspringen, wenn es passte.
Das indische Restaurant war
Weitere Kostenlose Bücher