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Ungleiche Paare

Titel: Ungleiche Paare
Autoren: Dietmar Bittrich
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Erbe. Sie lebe in einem Wohn- und Schlafatelier, besucht von wechselnden und rarer werdenden Künstlergefährten oder insolventen Galeristen. Kein Kind hatte ihr Becken geweitet, keines ihren Bauch gedehnt oder ihre Schenkel mit Streifen markiert, keines hatte an ihren Brüsten gesogen oder beim Zahnen gebissen. Ob sie es gewollt hatte oder nicht, sie hatte ihren Körper geschont.
    Das war Kim. Sie gab sich unbefangen und freundschaftlich neutral. Doch wenn ich nicht hinsah und wenn Hannah nicht hinsah, beobachtete sie mich. Im nicht ganz spiegelfreien Glas der Bilderrahmen war es zu erkennen, während ich vorgab, mich für die gerasterten Collagen aus Plakatresten und Comicstrips zu interessieren.
    Solange Hannah Seite an Seite mit Kim ging, streifte die mich nicht mal mit einem Blick. Doch sobald Hannahsich allein in ein Bild vertiefte, musterte die Freundin mich verstohlen, als schätzte sie Maße und Preise. Warum? Weil sie Hannah gratulieren oder schleunigst abraten wollte? Aus eigenem Interesse? Ich hatte mir bislang keine Gedanken über eine andere Frau gemacht. Was ich wollte, konnte ich mir bei Hannah holen, unaufwendig und ohne langfristig verplant zu werden. Ihr Körper war jung genug, jünger als ihr Gesicht. Und dass sie an mir genug hatte, dessen war ich sicher. Oder nicht?
    »Schläfst du eigentlich noch mit Dirk?«, fragte ich sie unvermittelt, als wir nach der Ausstellung in der Nähe meiner Wohnung hielten. Eigentlich war ich bereits ausgestiegen und beugte mich nur noch zum Abschied über die halb schon geschlossene Tür. Von ihrem Platz am Steuer sah Hannah mich teilnehmend an. Mir war, als hätte ich ihr leichtfertig ein Machtmittel in die Hand gegeben. »Es interessiert mich einfach«, fügte ich hinzu wie jemand, der an einer Studie arbeitete und eine Umfrage durchführen musste. Bislang hatten wir das Thema nie berührt.
    »Würdest du gern mit Kim schlafen?«, fragte Hannah freundlich zurück.
    »Was ist das denn für eine Antwort?«
    »Weil du sie so angestarrt hast in der Ausstellung.«
    Das war absurd. Nicht ich hatte Kim angestarrt. Umgekehrt, sie hatte mich mit Blicken, nun ja, taxiert, milde formuliert. Aber das wollte ich jetzt nicht erörtern.
    »Es kommt vor«, sagte Hannah. »Ich bin ja noch mit ihm verheiratet. Wir schlafen im selben Bett. Eine Zeit lang wollte er nichts von mir wissen. Neuerdings hat er wieder Spaß daran.« Sie schien damit einverstanden. »Aber nicht oft.« Das Leben war nun mal so.
    »Nicht oft?« Ich war bestürzt, dass es überhaupt vorkam.
    Sie langte herüber, um die Tür zu schließen, und nickte mir zu, vertrauensvoll und gönnerhaft, als sie abfuhr.
    Es war das erste Mal, dass ich mich nicht von ihrer Nähe bedroht fühlte, sondern von ihrer Entfernung. Sie war also nach anderen Seiten offen. Jetzt wieder. Ich hatte sie nicht herausgelöst aus ihrer Ehe. Natürlich nicht. Sie sollte ja versorgt und angebunden sein und Pflichten haben. Ich hatte mich lediglich für die Sonnenseite zur Verfügung gestellt.
    Und jetzt hatte sie auch bei ihrem Mann Spaß? Seit kurzem wieder? War das ein Zeichen dafür, dass ich nicht genug war? Dass es mir an Kunst mangelte? Ich war immer drängend, ungestüm, rücksichtslos, schnell. Das galt nicht als Stärke, so viel hatte ich mitbekommen. Sie hatte sich nie beschwert. Gejubelt auch nie. Sie hatte nur wohlig geseufzt und mich gestreichelt, wie man ein Kind streichelt.
     
    »Du könntest dir eine eigene Wohnung nehmen«, schlug ich ihr am anderen Tag vor. Mit dem nachmittäglichen Fährschiff setzten wir vom Blankeneser Anleger auf die andere Seite der Elbe über. Dort konnte man auf dem Deich entlangwandern, vorbei an Häuschen mit Obstgärten bis zu einem windschiefen alten Gasthof, in dem ich in versunkenen Sommern mit meinen Eltern gesessen hatte.
    »Daran habe ich auch schon gedacht«, sagte sie, während sie auf das schaukelnd zurückbleibende Ufer sah. Ich schwieg erschrocken. Sie hatte sich nach einer Wohnung umgesehen? Ohne mich zu fragen?
    Die mit Häusern bestreuten Hügel glänzten im Licht der Augustsonne, Waseberg, Süllberg, Kiekeberg, der Leuchtturm auf dem Mühlenberg, dann der dunkelgrüne Rücken des Hirschparks, darunter die kleine Reihe ufernaher Villen samt dem weißen Würfelhaus, in dem sie mit ihrer Familie lebte.
    »Ich habe mir schon ein paar Angebote angesehen«, erzählte sie. »Aber ausziehen – das wäre ein großer Schritt.«
    Ein großer Schritt? Das wäre ein Verhängnis! Dann war sie
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