Ungleiche Paare
für dich. Oder findest du es zu kalt hier?«
Das war es nicht. Eher die Kälte, die von ihrem Urteil ausging.
»Setz dich einfach hin«, wies sie an.
Ich hatte Mühe, die Beine nicht zusammenzupressen, sondern wenigstens parallel zu halten, ohne dass ich ein Handtuch oder mein Hemd oder wenigstens die Schnabelmaske über den Schoß decken konnte.
»Das geht allen Männern so, die zum ersten Mal Modell sitzen«, beruhigte sie. »Und Frauen auf ihre Weise auch. Ehrlich gesagt, wenn es anders wäre, würde ich dich rausschmeißen.«
Das war die Wirklichkeit des Traums von der reifen Frau. Man wollte sie beiläufig besuchen und benutzen und machte prompt Bekanntschaft mit ihrer Stärke. Zumindest war man ihrem Belieben unterworfen, einen als Trottel zu behandeln und vor die Tür zu kicken. Dann schlich man davon als genau der Narr, der man vorher schon gewesen war, nun noch geschmückt mit der Medaille des getesteten Versagers.
»Entspannen!«, rief sie. »Du runzelst gerade die Stirn. Willst du lieber die Maske aufsetzen? Um ein bisschen zu verschwinden?«
»Wäre vielleicht nicht verkehrt.«
»Kaffee trinken ginge dann aber nicht mehr. Gebe ich nur zu bedenken. Da würdest du ja die Schnabelspitze in die Tasse tauchen! Obwohl«, die Vorstellung gefiel ihr, »davon können wir auch ein Bild machen. Wie du das versuchst, mit dem Schnabel ... « Sie kicherte zufrieden. »Also, du sagst mir Bescheid. Ich skizziere in Bleistift, eventuell noch in Aquarell. Ein paar Fotos mache ich nur als Gedächtnisstütze.«
Ich rechnete aus, wie lange das dauern würde.
»Und dir ist wirklich warm genug?«
»Ich nehme mal einen Kaffee«, entschied ich schwächlich.Allmählich war das doch eine gute Idee. »Und danach die Maske. Ohne Milch, ohne Zucker.«
»Das habe ich sowieso nicht. Bei mir kommt Kardamom in den Kaffee. Die grünen Samen, frisch gemahlen.«
Sie summte vergnügt auf dem Weg zur Küchenzeile. Sie war Master of Ceremonies. Sie konnte dem Kandidaten Gnade erweisen oder den Giftbecher reichen, je nach erreichter Punktzahl.
»Hannah hat mir schon von dir berichtet, da warst du noch mit ihrer Tochter zusammen«, rief sie, während sie in einem Mörser etwas zerrieb, das angeblich Kardamom war. »Ich kann mich noch erinnern. Sie hat gesagt: Je älter ich werde, desto mehr starre ich jungen Männern auf den Hintern.«
Davon hatte ich noch nicht gehört.
»Der junge Mann warst du«, rief sie.
Meinem Hintern hatte ich nie Beachtung geschenkt. Im Schlafzimmer meiner Eltern wäre es möglich gewesen. Aber da war anderes aufregender. Die drei Teile des eichengerahmten Klappspiegels ließen sich so zueinander stellen, dass sie den Raum ins Unendliche vervielfältigten. Die Perspektive war bestürzend und großartig. In dieser grenzenlosen Galerie mussten sich schon meine Ahnen begutachtet haben, als sie zwanzig gewesen waren und nicht halb so artig, wie die Anzüge und Schleifchen auf den Chamois-Fotos suggerierten.
»Frauen sehen auf den Hintern«, dozierte sie, während sie mit dem Becher zurückkehrte. Auf einem wackligen Beistelltisch räumte sie einen Platz dafür frei. Kurz schielte sie auf die regungslose Miniaturlandschaft in meiner Körpermitte, die eine Art Abbild in Verkleinerung darstellte,nicht in H0, wie die Modelleisenbahner sagen, sondern im extra schamhaften N-Format, wie bei Minitrix.
Sie kehrte zur Staffelei zurück und begann den Zeichenblock mit Strichen zu bedecken. Ich schlürfte die schwarze Brühe, deren Kaffeearoma in der säuerlichen Schärfe des Kardamoms unterging. Aufspringen und gehen wäre eine prima Alternative gewesen. Eilig anziehen und wahrheitsgemäß von Scham oder Reue reden. Oder eben ausharren und Zuflucht suchen beim Pestdoktor.
Es wirkte leichthändig und spielerisch, wie sie zeichnete. Sie probierte weiche und härtere Bleistifte, gelegentlich einen Farbstift, stets mit raschem Wechsel des Blicks, aus dem jedes erotische Interesse verbannt war. Sie sah nur, was die Lehrer der Aktmalerei empfahlen: ein Stillleben mit Gemüse. Und mehr war es ja auch nicht. Ich trank von der ätzenden Bitternis und legte Arm und Hand gleich danach wieder exakt in die vorhergehende Position.
»Geht es so?«, erkundigte sie sich. »Mit dem Sitzen?«
»Doch, ja.«
»Was gefällt dir an Hannah?«
Das war eine überraschende Wendung. Nicht das ideale Gesprächsthema, aber vielleicht angenehmer als Schweigen. »Eine Menge«, grübelte ich und harkte im blankgefegten Gedächtnis. »Ich weiß
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