Unglückskeks - Angermüllers achter Fall
Angermüller war zu seiner Wohnung in der Nähe vom Brink geradelt, um sich frische Wäsche und ein paar Hemden für die nächsten Tage zu holen. Gerade als er aus der Tür wollte, hörte er das Telefon klingeln.
»Guten Abend, Schorsch, hier ist Steffen. Sag mal, du bist selten zu Hause, oder? Ich habe schon gestern Abend vergeblich versucht, dich zu erreichen.«
»Es ist immer einfacher, mich über mein Handy zu kriegen. Ich bin viel unterwegs.«
»Ach, ich wollte dich nicht irgendwo ungelegen stören. Es ist schlieÃlich privat und da will ich ruhig und entspannt mit dir plaudern.«
Ob es sich um Kleidung, Wohnungseinrichtung oder den Kontakt mit Freunden handelte, der kultivierte Steffen pflegte seinen ganz eigenen Stil. Er zog einen Brief oder ein Telefonat einer Email vor, war dabei ausnehmend höflich und zuvorkommend im Umgang, hatte einen feinen Humor und in manchen Dingen war er aus Ãberzeugung einfach liebenswert altmodisch.
»Tja, ich fürchte, du hast mich trotzdem zwischen Tür und Angel erwischt. Ich wollte mich gerade auf den Weg zu Julia und Judith machen.«
»Nanu, musst du bei den Mädels babysitten?«
»Na ja, so ähnlich. Du weiÃt ja noch gar nicht, was passiert ist â¦Â«
Natürlich war Steffens Betroffenheit groÃ, als Georg ihm ihren Fahrradunfall schilderte und in welchem Zustand sich Astrid derzeit befand.
»Deshalb habe ich dich also nie zu Hause erreicht! Wie böse! Ach, die Arme! Ist es sinnvoll, Astrid zu besuchen?«
»Im Moment eher nicht. Die Schwestern schicken die Kinder und mich jedes Mal nach einer halben Stunde wieder weg. Wir haben bisher auch allen aus der Familie gesagt, sie sollen mit einem Besuch abwarten. Astrid braucht viel Ruhe.«
»Das ist völlig richtig bei einem schweren Schädel-Hirn-Trauma«, stimmte Steffen zu. »Aber dann hast du wahrscheinlich auch keinen Nerv für unser monatliches Kochen morgen Abend, nehme ich an? Das war nämlich der Grund meines Anrufs.«
»Das würde ich so nicht sagen. Ich glaube, die Mädchen sind ganz froh, dass ich öfter abends abwesend bin. Sie finden ohnehin, ihre Mutter behütet und umsorgt sie zu sehr. Sie fühlen sich halt schon total erwachsen. SchlieÃlich werden sie nächste Woche schon 15.«
»Ach, wie traumhaft jung! Aber heiÃt das, es bleibt bei unserer Verabredung morgen Abend? Wir würden uns freuen. David ist auch im Lande.«
»Ja, ich denke, das klappt. Dann sorge ich für Vor- und Nachspeise und ihr für den Rest.«
»Wunderbar! Und übrigens, wenn du unsere ausnehmend nette Nachbarin dazu bitten magst, ist sie selbstverständlich willkommen.«
Die nette Nachbarin, das war Derya, die im Haus neben seinen Freunden wohnte. Georg hatte ohnehin fragen wollen, ob er sie mitbringen könnte. Durch Steffen und David hatte er Derya im letzten Jahr kennengelernt, und die beiden fühlten sich ein wenig als die Schutzherren der noch recht frischen Liebe.
»Das wäre schön. Ich werde Derya fragen.«
»Gut, dann bis morgen. Ich freu mich.«
»Ja, bis morgen. Freu mich auch.«
Georg schwang sich vorm Haus aufs Rad, da meldete sich sein Handy. Es war Sigrid, eine seiner Schwägerinnen, die sich bitter beschwerte, dass er ihr noch nicht persönlich Bericht über Astrids Befinden erstattet hatte. Er sah keinen Grund, sich dafür zu entschuldigen. Am Nachmittag hatte er einen Anruf gleichen Tenors von Gudrun erhalten. Das war typisch. Keine der beiden konnte ihm erzählen, dass sie aus Mitgefühl anrief oder in groÃer Sorge um die jüngste Schwester war. Empathie lag Sigrid und Gudrun eher fern. Sie fühlten sich einfach nicht so beachtet, wie sie es ihrer Meinung nach verdient hatten. Georg blieb gerade noch höflich, gab sich aber Sigrid gegenüber sehr kurz und einsilbig.
Zu keiner der beiden Schwestern hatte er je ein enges oder freundschaftliches Verhältnis aufbauen können. Doch das lag nicht nur an ihm, die nicht vorhandene Zuneigung war gegenseitig, abgesehen davon, dass auch Astrids Bindung an die beiden nicht sehr eng war. Wenn sich auch manches an seiner Frau im Lauf der Zeit verändert hatte, war sie in vielerlei Hinsicht sehr verschieden von ihren groÃen Schwestern, sonst wäre Georg wohl auch niemals mit ihr verheiratet gewesen.
Seit der Trennung von Astrid wurde er bei den Schwägerinnen nicht mehr eingeladen,
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