Unglückskeks - Angermüllers achter Fall
was er keineswegs als Verlust empfand. Nie hatte er Wert darauf gelegt, Gudrun und Sigrid bei groÃen Familientreffen über den Weg zu laufen. Auch ihre Ehemänner waren ihm stets fremd geblieben. Zuweilen befiel Georg der Eindruck, sie lebten auf unterschiedlichen Planeten. Man hatte sich einfach nichts zu sagen.
Seine Töchter nahmen kaum Notiz von ihm, als Georg nach Hause kam. Judith telefonierte, und Julia saà noch an einer Arbeit für die Schule.
»Und wie war dein dienstliches Essen?«, fragte Julia, eher höflich als wirklich interessiert.
»Ganz klasse. Es gab original chinesische Küche. Das hätte euch sicher auch geschmeckt. Und wie warâs bei euch? Wie war euer Milchreis?«
»Ja, türkischen Milchreis hatten wir zum Nachtisch, der war gut. Aber vorher hatten wir Lahmacun, die haben wir mit Salat gefüllt und so zusammengerollt aus der Hand gegessen. War echt lecker!«
»Habt ihr euch was geholt?«
»Nein, deine Freundin ist doch gekommen und hat uns was vorbeigebracht. WeiÃt du das denn gar nicht?«
»Derya war hier? Nein, ich hab sie seit gestern nicht gesprochen.«
Mittlerweile hatte Judith ihr Telefonat beendet und stand in der Tür des Zimmers ihrer Schwester.
»Ja, Derya, die ist echt nett! Wir haben zusammen noch ein Stück von unserem Lieblings-Bollywoodfilm angeschaut, und dann musste sie los, weil sie noch was arbeiten wollte.«
Georg zeigte nicht, wie überrascht er von diesen Neuigkeiten war und vor allem, wie erfreut. Nach dem unglücklichen Zusammentreffen in seiner Wohnung am Sonntagabend, als seine Töchter ihre zickige Seite hervorgekehrt hatten, wäre er nicht im Traum darauf gekommen, dass Derya von sich aus Kontakt zu den Mädchen suchen würde. Aber bestimmt war das die absolut richtige Idee gewesen, so wie Derya oft aus dem Bauch heraus ganz weise handelte. Seine Anwesenheit hätte die Annäherung zwischen den dreien wahrscheinlich eher verkompliziert.
»Dann bin ich ja beruhigt. Ihr habt gegessen, euern Lieblingsfilm geschaut, also auch ohne mich einen schönen Abend gehabt.«
»Ja, klar!«, bestätigte Judith. »Und wenn Derya mal Zeit hat, bringt sie uns den Original Bollywood Bauchtanz bei. Die kann das ganz super!«
Derya! Aus dem Bauch heraus, genau, dachte Georg und musste schmunzeln.
»Ãbrigens, morgen â¦Â«, begann er dann und kündigte behutsam an, dass er beabsichtigte, auch am nächsten Abend nicht daheim, sondern bei Steffen zum Essen zu sein.
»Also Papa, ich finde, das ist deine Sache, wie du deine Freizeit verbringst. Ich meine, selbst wenn du jeden Abend hier wärest, würden wir vielleicht zusammen essen, bisschen quatschen, ist ja auch schön. Aber dann macht doch eh jeder was für sich. Und wenn du mal zwei Abende hintereinander nicht da bist, das überstehen wir schon. Stimmtâs, Julia?«
»Na klar«, nickte die.
Nach einer kurzen Pause fügte sie leise an: »Mama müssen wir ja nichts davon sagen.«
An dem Ernst, mit dem Julia das äuÃerte, merkte Angermüller, wie sehr die beiden Mädchen ihre Mutter schätzten und achteten. Sie fanden zwar deren Fürsorge manchmal übertrieben, aber wollten sie eben auch nicht kränken oder beunruhigen.
»Na gut, dann müsst ihr morgen Abend wieder für euch selbst sorgen. Das können wir ja noch beim Frühstück besprechen. Und jetzt ist Zeit zum Schlafengehen, oder?«
Als im Haus Ruhe eingekehrt war, griff Georg zum Telefon.
»Nein, es ist nicht zu spät, um mich anzurufen. Ich sitze schon die ganze Zeit neben dem Telefon und warte darauf, dass du dich meldest«, antwortete Derya mit kleiner Stimme auf seine Entschuldigung für die späte Stunde.
»Es tut mir leid, ich habâs nicht früher geschafft. Du weiÃt ja, das Essen mit den Kollegen und â¦Â«
Ein lautes Lachen drang an sein Ohr.
»Diesen Quatsch glaubst du wohl nicht! Mann, ich Bekloppte steh hier immer noch in der Küche und bereite ein Buffet für 20 Personen für morgen vor. Hoffen wir mal, dass meine Kunden das auch zu schätzen wissen. Gerade habe ich ungefähr 5000 Wurzeln geschrappt für einen orientalischen Karottensalat, den ich gleich noch fertig machen will. Ich will heute so viel wie möglich vorbereiten, damit ich morgen nicht so in Stress komme. Und â¦Â«
»Wenn ich auch mal was sagen
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