Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unguad

Unguad

Titel: Unguad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Werner
Vom Netzwerk:
der Polizei berichtet hatte und sie nun darüber
befragt werden würde. Die würde mir bestimmt nichts mehr erzählen!
    Schuldgefühle stiegen in mir hoch wie Luftblasen aus altem Schlick.
Das ging bei mir immer schnell. Musste wohl an meiner katholischen Erziehung
liegen. Mein Selbstwertgefühl war angeknackst. Eigentlich wollte ich jetzt am
liebsten nach Hause. Wenn ich jedoch schon einmal hier war, konnte ich
wenigstens kurz bei meinen Eltern vorbeischauen. Pflichtbewusst, wie ich war.
    Zehn Uhr fünfundvierzig
    Auf dem Weg zu meinen Eltern kam ich am Schwesternzimmer vorbei.
Schwester Marion besprach gerade etwas mit Kerstin, und sie schienen nicht
einer Meinung zu sein. Der Tonfall der Schwester war zwar leise, aber
schneidend. Ungemütlich. Das fand Kerstin wohl gleichfalls. Ihre Körperhaltung
zeigte eindeutig Unterwürfigkeit gepaart mit Unwillen. Da wollte ich nicht stören.
Sie bemerkten mich auch nicht, als ich an der offenen Tür vorbeiging. Ich
verstand nur ein gezischtes »Dienstplan«, alles andere war unverständlich. Nun,
es ging mich ja nichts an.
    Bei meinen Eltern empfing mich das übliche Bild: Mein Vater saß im
Lehnstuhl am Fenster, meine Mutter löste Kreuzworträtsel. Beide schauten erst
neugierig, dann erfreut auf, als ich hereinkam. Bussis auf die Wange zur
Begrüßung. So war das immer schon bei uns.
    Mein Vater berichtete mir von seinem konspirativen Tee gestern Nachmittag.
Er hatte vor, mit allen Bewohnern seiner Station zu reden. Vielleicht erfuhr er
etwas Wichtiges.
    »Lass dich aber ja nicht von der Kommissarin erwischen! Die hat mich
gerade zusammengestaucht, weil ich mich ihrer Meinung nach in die Ermittlungen eingemischt
habe.« Ich erzählte ihnen von meinen Erkenntnissen.
    »Frau Moser wurde also von Elvira geschlagen? Nun, möglicherweise.
Zu Elvira würde es schon passen, finde ich. Ob die alte Dame jedoch tatsächlich
die Wahrheit sagt? Ich weiß nicht.« Mein Vater schaute zweifelnd zu meiner
Mutter hinüber. Diese enthielt sich wie üblich jeder Meinungsäußerung.
    »Vielleicht findet sich ja noch jemand, dem dasselbe widerfahren
ist. Ich werde mal meine Augen und Ohren offenhalten. Aber nun, kislány , gib mir meine Medizin. Mir ist nicht gut.«
    Besorgt sah ich ihn mir genauer an. Er war wirklich blass. Blasser
als sonst. »Soll ich dir nicht lieber die Vitamintabletten geben?« Ich erhob
mich und ging zu dem zierlichen Wandschrank, der schon in meiner Kindheit im
damaligen Wohnzimmer gestanden hatte. In einer der schmalen Schubladen müsste
die Plastikdose mit den Tabletten sein. Ich rüttelte an den etwas verzogenen
Schubfächern und kramte zwischen alten Spielkarten, nicht eingeklebten Fotos
und vergilbten Spitzentaschentüchern herum. Hier war sie. Auffordernd streckte
ich sie ihm entgegen.
    »Karin, du weißt genau, dass ich davon nichts halte.« Unwirsch
wedelte er mit der Hand.
    Ich seufzte. Diese Sturheit kostete mich noch den letzten Nerv. Nun,
es war sein Leben. Darum legte ich die Vitamine
wieder in ihr dunkles Versteck. Bald würde das Mindesthaltbarkeitsdatum
überschritten sein. Egal. Dann eben die andere »Medizin«. Ich holte die Flasche
und Gläser aus dem Schrank. Geübt schenkte ich ihm ein Gläschen Barack Pálinka
ein und mir gleich eines dazu. Ehrlicherweise musste ich zugeben, dass mir im
Moment der Sinn ebenfalls eher nach Alkohol anstatt nach Vitaminen stand. Ich
machte das nicht immer so. Dieser Morgen rechtfertigte allerdings einen
Schnaps.
    Wir prosteten uns zu. »Hast du schon herausgefunden, warum Elvira so
schlecht gelaunt war am Dienstag?«, fragte Tibor.
    »Nein, das hab ich ganz vergessen! Aber wen könnte ich fragen?
Schwester Marion ist nach gestern auch nicht mehr sonderlich gut auf mich zu
sprechen.« Ich berichtete in knappen Worten von meinem Erlebnis in Passau.
    »Schau zu, dass du dich wieder mit ihr verträgst!« Auf Schwester
Marion ließ mein Vater so schnell nichts kommen.
    »Ja, wird schon«, versuchte ich ihn zu beruhigen. »Wollt ihr euch
denn nicht einmal hinaus in die Sonne setzen? Es ist herrliches Wetter.« Ein
wenig frische Luft würde den beiden guttun, so »kasig« wie sie aussahen.
    »In der Sonne ist es zu heiß.«
    »Na, dann in den Schatten!«
    »Im Schatten geht ein Wind. Da bekomme ich Rückenschmerzen.«
    Mein Vater hatte für alles eine Ausrede. Man würde nicht glauben,
dass er früher so ein Sonnenanbeter war. Er konnte stundenlang in der prallen
Sommersonne liegen, ohne einen Sonnenstich zu bekommen. Noch

Weitere Kostenlose Bücher