Unguad
nicht mal ein
Sonnenbrand hatte sich erlaubt, seine sommersprossige Haut zu röten. Stets
behauptete er, ein Ungar brauche die Sonne. Er müsse für den düsteren, kalten
deutschen Winter auftanken. Deshalb konnte ich nicht verstehen, warum er sie
jetzt scheute wie ein Vampir. Einmal meinte er, dass er so nahe vor seinem Tod
den Untoten immer ähnlicher werde. Aber da hatte er schon drei Barack
getrunken.
»Ich muss wieder gehen.« Damit verabschiedete ich mich.
»Bussis an die Kinder!«
»Ja, Mama. Bis zum nächsten Mal. Szia .«
Elf Uhr fünf
Der Schluck Barack hatte meinen Kampfgeist wieder geweckt. So
machte ich mich auf die Suche nach Schwester Marion. Sie war im
Medikamentenraum und bereitete die Tablettenrationen für mittags vor. Die Tür
war halb geöffnet, sonst hätte ich Marion auch gar nicht gefunden. Ich klopfte
an und machte die Tür noch etwas weiter auf.
Die Schwester sah hoch. Als sie mich erblickte, verschlossen sich
ihre Gesichtszüge. Ich gehörte wohl nicht mehr zu ihren Lieblingsangehörigen.
»Hier hat nur das Personal Zutritt«, pflaumte sie mich an.
Das überging ich jetzt einfach mal. »Schwester Marion, ich wollte
Sie gestern keineswegs beleidigen oder Ihre Abteilung in Verruf bringen. Wenn
ich Ihnen zu nahe getreten bin, tut es mir leid.« Ich machte eine Pause, damit
meine Worte bei ihr ankamen. Und vielleicht schaute sie inzwischen auch ein
kleines bisschen weniger verstockt. »Aber es ist nun mal ein Mord geschehen.
Und ich habe die Leiche gefunden. Das war alles andere als schön, das können
Sie sich denken. Da interessiert mich eben jedes Detail, das es an Hintergrundinformationen
geben kann. Geht Ihnen das nicht ebenfalls so?«
Sie unterbrach ihre Arbeit. »Wieso ein Mord?«
»Frau Kommissarin Langenscheidt hat es mir gerade mitgeteilt.«
Mein Gegenüber schwieg. Die Schwester schien betroffen. Da von ihr
keine Reaktion kam, wiederholte ich meine Entschuldigung von vorhin. Endlich
war es bei ihr angekommen.
»Vielleicht habe ich überreagiert. Mag sein.« Nach einer kleinen
Pause sagte sie: »Auch ich will den Mord an Elvira aufgeklärt wissen.
Schließlich haben wir einige Jahre zusammengearbeitet. Sie haben gestern
allerdings das Opfer als Täterin hingestellt! Das gefällt mir überhaupt nicht!«
»Das war ungeschickt von mir. Ich möchte eben alle Informationen
sammeln. Vielleicht kommen wir so dem Täter auf die Spur.« Jetzt, hoffte ich,
hatte ich genug Erklärungen abgegeben und Süßholz geraspelt.
Schwester Marion hatte sich wieder ihren Tablettendöschen zugewandt.
»Was wollen Sie denn heute wissen?«, fragte sie über ihre Arbeit gebeugt.
Erwischt! Blöd war sie nicht, die Marion Bauer. »Nun, ich wollte Sie
fragen, ob Sie Einblick haben, warum Elvira am Tag ihres Todes so besonders
schlecht aufgelegt war. Das hab ich von einigen Seiten gehört. Ihr muss gleich
in der Früh mächtig etwas über die Leber gelaufen sein.«
Sie richtete sich auf. »Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass ich
am Dienstagvormittag keinen Dienst hatte und deshalb auch gar nichts wissen
kann. Ich habe keine Idee. Das wird wohl ein Geheimnis bleiben. So, und nun
muss ich weitermachen, sonst bekommen die Bewohner ihre Medikamente nicht
rechtzeitig. Sie entschuldigen?« Sie nahm die Tür in die Hand und drückte mich
damit mehr oder weniger nach draußen. Na prima!
»Danke für die erschöpfende Auskunft!« Nun, Freundinnen würden wir
wohl nicht mehr werden.
Ein paar Meter weiter war Kerstin gerade dabei, eine Frau im
Rollstuhl zu schieben. Sie war aber stehen geblieben und hatte sich nach mir
umgedreht. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie mir etwas sagen wollte,
also ging ich mit fragendem Gesicht auf sie zu. Kerstin war zufrieden, dass ich
ihr Verhalten richtig gedeutet hatte, und rollte die Bewohnerin weiter. Die
alte Dame kam wohl eben aus dem Badezimmer, sie hatte obenrum nur ein Unterhemd
an. Mir war das ein bisschen peinlich, auch für die Frau, die jetzt von einer
Außenstehenden in dieser legeren Bekleidung gesehen wurde. Gerade wollte ich
mich taktvoll abwenden, da stach mir ein dunkellila Fleck auf ihrem
Schulterblatt ins Auge. Schon wieder ein Hämatom? Ich war so gebannt von diesem
Fund und suchte ihre entblößten Arme nach weiteren Zeichen ab, dass ich erst
gar nicht bemerkte, wie Kerstin leise zu mir sprach.
»Frau Schneider!« Das war wohl nicht das erste Mal, dass sie meinen
Namen genannt hatte.
»Ja?« Mit halbem Ohr hörte ich hin. Versuchte immer
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