Unguad
essen.«
»Oh, wir gehen essen! Wohin denn?« Dabei schaute sie uns mit ihren
großen braunen Augen erfreut an.
»Hinunter ins Lokal.«
»Wie jeden Sonntag.« Diese Bemerkung konnte ich nicht unterdrücken.
Die Unterhaltung zerrte an meinen Nerven.
»Ja, dann gehe ich mich mal eben frisch machen. Bis später.«
Geschäftig eilte sie zur Tür hinaus.
Mit fragend erhobenen Augenbrauen setzte ich mich ihm wieder
gegenüber. Es war offensichtlich, dass er meine Mutter hatte loswerden wollen.
Aber er ließ sich Zeit. Faltete seine Hände im Schoß und schien dann
zu ihnen zu sprechen. »Magdalena und ich waren gestern Morgen ein wenig im
Garten.« Kontrollblick zu mir, ob ich ihm auch aufmerksam zuhörte. Anscheinend
war er zufrieden, denn er fuhr fort: »Und dort haben wir Frau Moser und Frau
Baumann getroffen.« Wieder eine Pause.
»Ja, ich kenne die beiden.« Zumindest an Frau Moser konnte ich mich
lebhaft erinnern. Frau Baumann war, glaube ich, die alte Dame im Rollstuhl, die
Kerstin noch anziehen sollte, als sie mit mir im Gang geredet hatte.
»Nun, Frau Moser hat jetzt auch mir berichtet, dass Elvira sie
geschlagen hat.«
»Ja, das ist schlimm. Allerdings weiß es Kommissarin Langenscheidt
inzwischen. Sie wird schon die Wahrheit herausfinden und dementsprechend
handeln.«
Mein Vater schaute mich zweifelnd an. »Hoffen wir es. Und«, dabei
neigte er sich etwas zu mir, »sie hat auch erzählt, dass Frau Baumann sehr unter
Elvira zu leiden hatte, aber niemand ihr geglaubt hat. Sie haben ihr
anscheinend nur Beruhigungstabletten gegeben.«
»Beruhigungstabletten? Sedieren statt reagieren. Na toll!« Ich
schlug mit der Hand erbost auf die Stuhllehne. »Das darf nicht wahr sein! Jetzt
spreche ich aber wirklich mit der Imhoff.«
Als ich hastig aufstand, hielt mich mein Vater am Arm zurück.
»Unsere liebe Heimleitung ist sonntags nie anwesend. Da musst du dich schon bis
morgen gedulden. Und es ist nicht sicher, ob Frau Baumann die Sache überhaupt
geklärt haben will. Als Frau Moser mir davon erzählte, ist sie geflohen. Ich
glaube, sie möchte es verdrängen. Totschweigen.«
Diese Reaktion kam mir bekannt vor. Die Anna schämte sich auch
dafür, dass der Hecker ihr an die Wäsche wollte. Anscheinend hatte sich in den
vergangenen Jahrzehnten, ach Jahrhunderten nichts geändert. Frauen meinten, den
Mund halten und ihr Schicksal erdulden zu müssen. Das konnte ja nicht sein! Da
musste man doch was machen können.
Mein Vater tippte mich an. »Gestern war ich auf Erkundungstour.«
»Wie bitte?«
»Ja, ich wollte mir einen Eindruck verschaffen und bin in die
Abstellkammer gegangen.«
»Wann?«
»Abends.«
»Abends?«
»Karin, nun unterbrich mich doch nicht immer! Wir haben nicht mehr
viel Zeit, bis deine Mutter wiederkommt.«
Ich nickte. Stumm.
»Und dort hatte sich ein junger Mann versteckt.«
»Was!«
»Du hast richtig gehört. Ich habe ihn …«, er zögerte, »getroffen.«
Bevor mir erneut eine Frage herausplatzte, hob er abwehrend die Hand. »Mehr
kann ich dazu nicht sagen. Wir haben nicht miteinander geredet. Er ist
weggelaufen. Wo er jetzt ist, weiß ich nicht. Wahrscheinlich …« Mein Vater
hielt inne, da die Tür geöffnet wurde.
»Zu Magdalena keinen Ton.« In diesem Moment kam sie bestens gelaunt
herein und strahlte uns an. Wir setzten eine unverfängliche Miene auf. Unsere
Familie war Meister darin, den Schein zu wahren. Zusammen machten wir uns auf
den Weg ins Lokal. Dort erwartete uns bereits der Rest meines Klans.
Dreizehn Uhr dreiundzwanzig
Zu Hause erzählte ich die unseligen Geschichten über Elvira und
auch über Hecker meinem Mann. Er sah mich skeptisch an. »Meinst du, das ist
alles wirklich so vorgefallen?«
»Wieso?«
»Na, bei der alten Frau Baumann hat es die Freundin aus dem
Altenheim kundgetan, nicht sie selbst. Hörensagen. Außerdem ist Elvira
inzwischen tot. Warum willst du dich jetzt noch beschweren? Und die Sache mit
der Belästigung der Praktikantin – das hat dir Lilli erzählt. Wer weiß, was die
Mädels da in welche Situation hineininterpretiert haben. Und …«
Aber ich ließ ihn seine chauvinistischen Gedankengänge nicht mehr
weiter ausführen. Ich atmete tief ein. »Du bist also der Ansicht, dass man
sowohl der Aussage von jungen wie der von alten Frauen nicht trauen kann! In
welchem Zeitabschnitt ist denn die Vertrauenswürdigkeit von uns Frauen
überhaupt gegeben? Hm? Von zwanzig bis sechzig Jahren, von fünfundzwanzig bis
fünfundsechzig, oder was? Ich
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