Unguad
glaub’s einfach nicht!« Ich hätte vor Wut auf und
ab hüpfen können wie Rumpelstilzchen.
»Karin«, versuchte er mich zu beschwichtigen, »ich meinte doch nur,
dass du nichts von den Betroffenen selbst gehört hast, immer nur über Dritte.«
Martin zuckte mit den Schultern.
»Na, ich werde schauen, ob ich auch Heckers Typ bin, vielleicht
glaubst du ja mir!« Damit rauschte ich aus dem Zimmer und knallte mit der Tür.
Das war natürlich nicht ernst gemeint. Ich ließ mich doch nicht
angrapschen, nur um recht zu behalten. Igitt! Pfui Teufel! Wirklich nicht. Aber
wenn ich in Rage bin, kommt manchmal so ein Unsinn aus meinem Mund. Ich rannte
durch die Wohnung und überlegte, wie ich mich abregen konnte. Da fiel mir noch
etwas ein. Ich riss die Tür erneut auf: »Übrigens! Heute Abend bin ich nicht zu Hause!« Und knallte sie wieder zu.
Sechzehn Uhr
Anna klopfte zögernd an. Als keine Reaktion kam, öffnete sie
vorsichtig die Tür. Sie hatte schon öfter die Erfahrung gemacht, dass die
Bewohner nicht antworten. Wahrscheinlich hörten sie nicht mehr gut. »Herr von
Markovics?«
Magdalena sah von ihrem Rätselheft auf. »Kommen Sie nur herein,
kommen Sie.« Sie winkte dem Mädchen zu. An ihren Namen konnte sie sich nicht
erinnern. Aber sie arbeitete hier, das wusste sie. » Tibikém ,
Besuch für dich!«
Tibor von Markovics öffnete seine Augen. Er blinzelte, erkannte
Anna, die immer noch schüchtern bei der Tür stand. »Ah, kisasszony ,
möchten Sie zu mir?«
Sie traute sich näher. »Ich will nicht stören, aber Sie haben doch
angeboten, mir aus Ihrem Leben zu erzählen. Hätten Sie denn jetzt Zeit?«
»Na, das macht er immer gerne«, meinte seine Frau schelmisch.
» Muzikám , gib mir bitte etwas zu trinken.
Setzen Sie sich, setzen Sie sich.« Er deutete auf den zweiten Cocktailsessel
neben sich. »Natürlich erzähle ich Ihnen. Was wollen Sie denn wissen?« Er
richtete sich auf.
Anna nahm vorsichtig auf der vorderen Sitzkante Platz. Die dünnen
Beinchen des alten Sessels erschienen ihr nicht stabil. Als er unter ihr nicht
zusammenbrach, konnte sie sich wieder auf den Grund ihres Besuches besinnen.
Sie holte ihr Schreibzeug hervor und schaute Tibor erwartungsvoll an.
»Vielleicht fangen Sie ganz am Anfang an. Wann sind Sie geboren?«
»Am 16. Juni 1921 in Pécs.«
»Uh, das ist ja lange her«, entschlüpfte es ihr.
Tibor schmunzelte. »Ja, ich habe gerade meinen neunzigsten
Geburtstag gefeiert«, sagte er nicht ohne Stolz.
»Und wo ist Pécs? Sie haben doch nichts dagegen, dass ich das alles
aufschreibe? Ich brauch es für meinen Praktikumsbericht.«
»Nein, nein, natürlich nicht. Pécs heißt auf Deutsch Fünfkirchen und
liegt in Ungarn.«
So verbrachten die beiden eine nette halbe Stunde miteinander. Tibor
von Markovics erzählte, Anna hörte zu, stellte Fragen, schrieb auf, und
Magdalena hatte sich wieder in ihre Rätselwelt vertieft.
»Mein Schwager war Arzt. Da durfte ich ihn als junger Mann manchmal
begleiten. Er hatte viele Hausbesuche zu machen, ich habe seine Tasche
getragen. Er erklärte mir immer alles, was er bei den Patienten gemacht hat und
warum, und nach einiger Zeit erlaubte er es mir sogar, selber Spritzen zu
setzen.«
»Das wäre heute aber verboten!« Anna staunte über die Zustände
früher in Ungarn.
»Natürlich ginge das heutzutage nicht mehr. In der heutigen Zeit
werden die Vorschriften streng beachtet. Nur Ärzten oder ausgebildeten
Schwestern ist es gestattet zu injizieren. Nicht einmal Pflegehelferinnen
dürfen das«, bestätigte Tibor.
Unerwartet beteiligte sich Magdalena am Gespräch, doch ohne von
ihrem Heft aufzublicken. »Aber Ausnahmen muss es schon geben. Denn die
Heidemarie spritzt auch manchmal.«
»Die Heidemarie Wieland? Nein, das kann nicht sein. Sie ist ja keine
hier angestellte Schwester.«
»Trotzdem.«
»Nein, Magdalena, da täuschst du dich.«
Wütend blitzte sie ihn an. »Aber ich hab es mit meinen eigenen Augen
gesehen!«
»Wann?«
»Das weiß ich nicht mehr«, musste sie verärgert einräumen.
»Allerdings, dass sie es gemacht hat, weiß ich ganz bestimmt. Punkt. Basta.«
»Nun denn.« Tibor von Markovics wollte vor Anna nicht länger mit
seiner Frau diskutieren. »Wo war ich stehen geblieben? Ach ja …«
Neunzehn Uhr dreißig
Glücklicherweise hatte ich mich für heute Abend mit Isabell
verabredet, denn zu Hause war schlechte Stimmung. Ich war auf meinen Mann wegen
seiner seltsamen Ansichten über die Glaubwürdigkeit von Frauen
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