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Unguad

Unguad

Titel: Unguad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Werner
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schmackhaft bekannt, es kamen viele
»Aushäusige«. Auch »Essen auf Rädern« wurde beliefert. Eine gute Sache.
    Heute war ich etwas früher allein hierhergegangen. Ich wollte in
Ruhe mit meinem Vater reden. Meine Mutter war wie erwartet in der Kirche, er
saß ungestört in seinem Lehnstuhl. Nach der Begrüßung zog ich mir einen Stuhl
heran und setzte mich.
    »Wie geht’s dir?«, fragte ich besorgt, weil seine Haut papierdünn
und fast durchsichtig aussah.
    Seine Augen ruhten auf mir. Er schien sich seine Antwort länger als
sonst zu überlegen. »Ich hatte eine unruhige Nacht. Nem
bánom. Du scheinst heute allerdings mitgenommen. Was ist passiert?«
    Wieder einmal war ich erstaunt. Denn eigentlich hatte ich mich immer
noch nicht an die fürsorgliche Seite meines Vaters gewöhnt. Als ich ein Kind
war, hatte ich ihn als zwar lebenslustigen, aber auch strengen Mann erlebt. In
der Pubertät hatten wir uns heiße politische Debatten geliefert. Der ehemals
vor den Kommunisten geflohene Ungar konnte meine rot-grünen Sympathien nicht im
Ansatz gutheißen. Und als Krönung hatte ich mir mal einen Hippie, mal einen DKP ler
als Freund gesucht. Ich behaupte, nicht nur aus Opposition zu meinem Vater.
Jedenfalls war es Futter für endlose Streitigkeiten. Erst die Distanz hatte uns
besänftigt. Ich war weggezogen, hatte studiert, gearbeitet, geheiratet. Sogar
einen Arzt. Welch Freude für ihn. Hatte Kinder bekommen, war ruhiger geworden.
Das hatte uns ausgesöhnt. Nach seiner Pensionierung war sein schnell
erhitzbares ungarisches Temperament auf mitteleuropäisches Niveau
heruntergekühlt, und er hatte einen fast buddhistischen Langmut entwickelt.
Altersweisheit.
    Aber es überraschte mich immer noch. Trotzdem wollte ich nicht mit
ihm darüber reden. »Nun, nichts.«
    »Mit den Kindern alles in Ordnung?« Er ließ nicht locker.
    »Ja. Ja, alles okay.«
    »Und Martin?« Nun hatte er den Finger auf meiner Wunde. Ich rutschte
unbehaglich auf dem Stuhl herum.
    »Was soll schon sein?«
    »Sag du es mir.«
    »Nichts. Er arbeitet bloß sehr viel im Moment. Dann noch sein
Ehrenamt im Lions-Club. Ist wenig zu Hause. Das ist alles.«
    Er taxierte mich nachdenklich. Ich wusste, er glaubte mir nicht.
Aber er ließ mich vom Haken. Schloss die Augen, mit einem Mal kraftlos.
Vielleicht sollte ich doch keine Spielchen mehr mit ihm treiben. Mein guter
Vorsatz fürs nächste Mal.
    »Was ich dir eigentlich erzählen will: Für Mama wird Pflegestufe I
beantragt.« Dieses Thema erhöhte seinen Blutdruck. Unmutig zischend zog er die
Luft ein. »Ja, ja. Ich weiß. Ihr wollt es nicht einsehen, aber sie ist sehr
vergesslich geworden. Über das normale Maß hinaus.«
    Er stützte sich mit der linken Hand auf die Lehne seines Stuhls und
drückte sich in eine aufrechtere Position. »Vielleicht. Allerdings, was hat
denn das Altenheim für einen Mehraufwand, den es sich von der Pflegekasse
bezahlen lassen müsste? Sag mir das! Ich bin ja da und helfe ihr!« Sein
Kampfgeist war erwacht.
    »Ja, da magst du recht haben. Aber es kann schnell anders kommen.«
Das war jetzt nicht diplomatisch. Als ich seine versteinerte Miene bemerkte,
sprach ich rasch weiter. »Außerdem tut es ja nicht weh. Falls ich es richtig
verstanden habe, kommt nur eine Mitarbeiterin der Krankenkasse vorbei und
stellt Mama und uns ein paar Fragen. Das ist alles. Ist doch nicht schlimm«,
fügte ich begütigend hinzu.
    »Ich sehe das anders. Hinausgeschmissenes Geld! Wenn man nicht mehr
leistet, hat man auch keinen Anspruch auf höhere Bezahlung. Ich werde …«
    In diesem Moment öffnete sich die Tür und Mama kam herein. Wie immer
hatte sie für den Kirchgang eine Jacke angezogen und ihren dunkelblauen,
kleinen Hut aufgesetzt, ganz so, als ob sie durch den halben Ort laufen müsste.
Dabei war die »Kirche« nur im obersten Stockwerk des Hauses. Aber auch darin
hielt sie an ihren Angewohnheiten fest.
    »Oh, Karin, das ist nett! Was machst du denn hier?«
    »Heute ist Sonntag, Mama. Sonntags kommen wir doch immer zum
Mittagessen.« Resigniert versuchte ich, nicht ungeduldig zu werden.
    »Ist schon wieder Sonntag? Das hab ich gar nicht mitbekommen.« Sie
nestelte am Ärmel ihrer Jacke und wollte sie ausziehen. Ich sprang auf und half
ihr.
    »Du warst doch gerade in der Kirche, Mama. Die Kirche ist immer
sonntags.« Ich seufzte.
    »Ja, da hast du recht, mein Kind.«
    »Möchtest du dich nicht ein wenig frisch machen, Magdalena?«
    »Warum, Tibikém?«
    »Nun, wir gehen gleich

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