Unheil
machte der Ausdruck etwas Resignierendem und
allenfalls leicht Unglaubwürdigem Platz. »Ja. Und zwar eines besonders schweren
Falles von Sturheit und Selbstmitleides.« Er seufzte. »Sie wollen mich wütend
machen. Doch das wird Ihnen nicht gelingen. Ich stehe auf ihrer Seite, Conny,
aber ich habe nicht die mindeste Lust, für Sie den Sparringspartner zu geben.
Wir können zusammenarbeiten, oder wir essen zu Ende, trinken noch ein paar Bier
und machen uns einen gemütlichen Abend.«
Conny sagte nichts mehr dazu. Sie starrte den Aschenbecher an, der
noch immer unberührt zwischen ihnen stand.
Sie war erst lange nach Mitternacht nach Hause gekommen,
und zu ihrer Erleichterung hatte Trausch diesmal nicht darauf bestanden, sie
bis vor ihre Wohnungstür zu begleiten â oder sogar noch ein Stück weiter.
Erleichterung deshalb, weil sie ganz und gar nicht sicher war, ob der Abend
dann tatsächlich mit einer weiteren Tasse Kaffee geendet hätte. Trausch war der
perfekte Gentleman gewesen und hatte sie nur bis zum Aufzug begleitet.
Wahrscheinlich war es besser so. Bestimmt war es besser so.
Aber warum wachte sie dann nicht nur mit einem schlechten Geschmack
im Mund und einem leisen, überaus unangenehmen Druckgefühl zwischen den
Schläfen auf, sondern auch mit der vagen Erinnerung an eine verpasste Chance
und dem Gefühl, etwas verloren zu haben, das sie noch gar nicht gehabt hatte?
Es war nach neun. Keine so ungewöhnliche Zeit, wenn man am Abend
vorher erst gegen eins ins Bett gegangen war und vermutlich das eine oder
andere Bier zu viel getrunken hatte. Sie war nicht betrunken gewesen, Gott
bewahre, aber doch einigermaÃen beschwingt.
Ungewöhnlich spät war es allerdings für sie. Normalerweise wachte
sie jeden Morgen um Punkt halb acht auf, ganz gleich, ob mit oder ohne Wecker,
und was sie am vergangenen Abend getan hatte, dem Ticken einer inneren Uhr
folgend, die so präzise lief, dass es ihr manchmal direkt unheimlich war.
Heute nicht. Vielleicht stand sie wirklich unter gröÃerem Stress,
als sie selbst zugeben wollte.
Sie stand auf, schlurfte ins Bad und verbrachte eine geschlagene
Viertelstunde unter der Dusche, ohne sich hinterher im Geringsten erfrischt zu
fühlen. Aus dem Druck hinter ihrer Stirn war mittlerweile ein ausgewachsener
Kopfschmerz geworden, und auch der schlechte Geschmack in ihrem Mund lieà sich
durch noch so intensives Zähneputzen nicht verscheuchen.
Eine angenehme Ãberraschung allerdings gab es: Ihre Hand fühlte sich
nahezu gesund an. Nachdem sie den elastischen Verband vorsichtig abgewickelt
hatte, ballte sie die Finger zur Faust und drehte die Hand ein paarmal rasch
nach rechts und links. Es ging. Es tat nicht im Geringsten weh, und auch wenn sie
nicht glaubte, dass sie besonders viel Kraft mit dieser Hand aufbringen konnte,
glich es doch beinahe einem kleinen Wunder. Es war gerade einmal drei Tage her,
dass Aisler ihr einen Tritt verpasst hatte, der ihr Handgelenk eigentlich in
Mus hätte verwandeln müssen. Von Rechts wegen hätte es eine Woche dauern
müssen, bis sie die Hand wieder richtig bewegen konnte; und vermutlich noch
länger, bevor sie es ohne Schmerzen konnte.
Aber gut, solange sie noch keinen unstillbaren Hunger auf rohes
Fleisch verspürte, musste sie sich wahrscheinlich noch keine allzu groÃen
Sorgen machen â¦
Eigentlich sollte ihr dieser Gedanke selbst klarmachen, was für
einen Unsinn sie sich gerade zusammenphantasierte, und ihr Spiegelbild grinste
sie auch ebenso gehorsam wie dümmlich an, aber tief in sich fand sie das alles
nicht im Geringsten komisch. Ganz im Gegenteil. Da war plötzlich eine Kälte in
ihr, die aus einer Tiefe in ihrer Seele emporstieg, von deren bloÃer Existenz
sie bisher nicht einmal etwas geahnt hatte.
Was für ein gotteslästerlicher Unsinn!
Sie schnitt ihrem Spiegelbild eine Grimasse, ging ins Wohnzimmer
zurück und setzte die Kaffeemaschine in Gang, bevor sie sich anzog. Während sie
die erste Tasse trank, überlegte sie, was sie mit diesem Tag anfangen sollte.
Nicht, dass sie allzu viel zu tun gehabt hätte: Spätestens seit
gestern Vormittag war sie vielleicht nicht de jure, aber
ganz zweifellos de facto vom Dienst suspendiert,
woran auch alle möglicherweise in Aussicht stehenden Belobigungen und
Auszeichnungen des Polizeipräsidenten nichts ändern würden. Offiziell war sie
immer noch krankgeschrieben, und
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