Unheil
allein das gab Eichholz jeden Grund, den er
sich nur wünschen konnte, um sie bis in alle Ewigkeit auf irgendeinem
Abstellgleis zu parken; und sei es nur aus versicherungstechnischen Gründen .
Sie überlegte einen Moment lang, Trausch anzurufen, um sich zu
erkundigen, ob sich irgendetwas Neues ergeben hatte, entschied sich aber dann
dagegen, schon wegen gestern Abend. Sie wollte nicht, dass er irgendetwas
falsch verstand ⦠oder richtig. Sie musste noch einmal an den vergangenen Abend
denken, und eine sonderbare Mischung aus Melancholie, schlechtem Gewissen und
einem ganz kleinen bisschen Zorn auf sich selbst überkam sie. Trausch hatte sie â ganz der perfekte Gentleman â bis zum Aufzug begleitet und vor der Tür
gewartet, bis die Kabine abgefahren war; erst in der buchstäblich allerletzten
Sekunde hatte sie gesehen, wie er sich umdrehte und zu seinem Wagen
zurückgegangen war, und das so schnell, dass es schon beinahe wie eine kleine
Flucht ausgesehen hatte. Möglicherweise hatte er sich ja genauso davor
gefürchtet, dass sie ihn noch auf eine Tasse ihres grässlichen Kaffees mit nach
oben einladen könnte, wie sie umgekehrt davor, es zu tun.
Aber vielleicht war das ja auch nur reines Wunschdenken â¦
Conny blieb noch eine geraume Weile in Gedanken versunken stehen und
starrte die geschlossene Tür an, vielleicht, weil ein Teil von ihr tatsächlich
hoffte, es könnte plötzlich klopfen und Trausch wäre da, vielleicht aber auch,
weil sie einfach das Gefühl hatte, sowieso nichts Besseres zu tun zu haben â
bevor sie sich mit einem lautlosen, tiefen gedanklichen Seufzen eingestand,
dass sie sich wie eine verliebte Sextanerin aufführte, die für ihre neuen
Sportlehrer entflammt war. GroÃer Gott, sie kannte Trausch seit gerade einmal
vier Wochen!
Gut, das allein bedeutete gar nichts. Sie wusste auch praktisch
nichts über ihn â auÃer dass er ein verdammt guter Polizist war (nicht nur
ihrer Meinung nach ein sehr viel besserer, als Eichholz es jemals werden würde)
und in einem spieÃigen Reihenhaus in einer genauso spieÃigen Vorortsiedlung
wohnte.
Und dass er verdammt gut aussah.
Conny erteilte sich für den letzten Gedanken selbst einen scharfen
Verweis; auch wenn er der Wahrheit entsprach. Die nächsten anderthalb Stunden
versuchte sie sich abzulenken, indem sie die Wohnung aufräumte und verbissen
Jagd auf jedes noch so winzige Staubteilchen machte, das so verwegen war, ihr
in die Quere zu kommen. Einundvierzig Quadratmeter (einschlieÃlich des Balkons)
ergaben allerdings beim besten Willen kein sonderlich groÃes Jagdrevier, und da
sie ohnehin die meiste Zeit nur zum Schlafen herkam, gab es auch niemanden, der
in nennenswertem Ausmaà für Unordnung sorgen konnte. Nach insgesamt nicht
einmal zwei Stunden hatte sie nicht nur ihre Wohnung in einen Zustand versetzt,
wie sie sie nicht einmal am Tag ihres Einzugs gehabt hatte, sondern auch aus
purer Langeweile noch einmal ausgiebig geduscht, ihre Haare gewaschen und sich
mit wachsender Frustration durch ein halbes Dutzend Fernsehprogramme gezappt,
ohne hinterher wirklich sagen zu können, was eigentlich über die Mattscheibe
geflimmert war.
Um es auf den Punkt zu bringen: Sie wusste nichts mit sich
anzufangen.
Aber wann hatte sie das eigentlich je gekonnt?
Mit einer Bewegung, die so heftig war, als würde sie eine Waffe auf
einen verhassten Gegner (zum Beispiel Eichholz) abfeuern, richtete sie die
Fernbedienung auf den Fernseher und schaltete auf das nächste Programm. Es fiel
ihr allerdings schwer, den hektischen bunten Bildern irgendeinen Sinn
abzugewinnen. SchlieÃlich gab sie es auf, schaltete ab und legte die erstbeste CD in den Player, der ihr in die Hände fiel.
Es half nicht wirklich. Ihre Gedanken, einmal in eine bestimmte
Richtung in Bewegung gesetzt, weigerten sich hartnäckig, von dem
eingeschlagenen Weg abzuweichen, und schlieÃlich kapitulierte sie lautlos.
Warum nicht eine Runde Selbstmitleid, wo es doch sowieso gerade nichts Besseres
zu tun gab?
Sie sah beinahe sehnsüchtig zum Telefon hin. Trausch hatte
versprochen, gleich am Morgen anzurufen, um sie auf dem Laufenden zu halten, es
bislang jedoch nicht getan (wahrscheinlich weil es nichts Neues zu berichten
gab), und einen Moment lang überlegte sie ganz ernsthaft, sein Notfall-Handy zu benutzen, um ihn von sich aus anzurufen,
und sei es nur unter dem Vorwand, die
Weitere Kostenlose Bücher