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Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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war der gestrige Tag nur so etwas wie
eine Atempause gewesen. Sie zeigte dem elektronischen Tyrannen den
ausgestreckten Mittelfinger, ging stolz erhobenen Hauptes an ihm vorbei und
machte dann noch einmal kehrt, um sämtliche Anrufe mit einer einzigen,
entschlossenen Bewegung zu löschen. Sie hatte eine ziemlich konkrete
Vorstellung davon, welche ach so dringende Nachrichten auf sie warteten, und
sie hatte nicht vor, auch nur eine einzige davon abzuhören.
    Stattdessen rief sie Sylvia an. Sie hob ab, bevor das erste
Freizeichen ganz zu Ende war; als hätte sie mit dem Hörer in der Hand da
gesessen und nur auf den Anruf gewartet. »Ja?«
    Conny unterdrückte ein missbilligendes Stirnrunzeln. Sylvia würde es
nie lernen, sich mit ihrem Namen am Telefon zu melden.
    Â»Ich bin’s, Conny. Hallo. Wie geht es dir?«
    Â»Gut. Danke.« Die Antwort kam zu schnell, und fast ein bisschen
erschrocken, dachte Conny. Als hätte sie diesen Anruf erwartet und Angst davor
gehabt. »Und dir? Bist du noch in der Klinik?«
    Â»Woher weißt du, dass ich im Krankenhaus war?«
    Â»Weil sie es im Fernsehen gesagt haben«, antwortete Sylvia. »Es
hieß, du wärst ziemlich schwer verletzt worden.«
    Â»Das war halb so wild«, antwortete Conny. »Ich habe ein paar Kratzer
abgekriegt, das ist alles. Du weißt doch, dass die Presse immer übertreibt. Ich
bin schon wieder zu Hause … aber behalt es für dich, sonst stürmen diese
Presseheinis gleich meine Wohnung.«
    Â»Keine Sorge. Mit wem sollte ich schon sprechen?« Ein winziges
Zögern. »Ich wollte dich anrufen, aber es war nur der Anrufbeantworter dran.«
Ein weiteres, diesmal länger anhaltendes Schweigen kehrte ein, und als sie
endlich weitersprach, klang ihre Stimme deutlich unsicherer, und Conny begriff,
dass sie tatsächlich Angst vor diesem Anruf gehabt
hatte. »Hör mal, ich glaube, ich … ich habe ziemlichen Blödsinn geredet. Es tut
mir wirklich leid. Ich war ziemlich durcheinander, und …«
    Â»Das trifft sich gut«, unterbrach sie Conny. Sie lachte, ohne dass
es ihr gelang, es irgendwie überzeugend klingen zu lassen. »Du kennst doch mein
Geschick mit Technik. Ich habe sämtliche Anrufe gelöscht, statt sie abzuhören.
Warum treffen wir uns nicht, und du erzählst mir alles noch einmal?« Sie hatte
keine Ahnung, ob Sylvia diese kleine Lüge durchschaute oder nicht.
    Â»Wirklich?«, fragte Sylvia.
    Â»Ich fürchte, ja«, seufzte sie. »Aber wahrscheinlich war sowieso
nichts Wichtiges dabei … die üblichen Spinner eben. Ich fürchte, ich muss mir
eine neue Telefonnummer geben lassen.«
    Â»Wieder einmal?«
    Â»Wieder einmal«, bestätigte sie. »Wie ist es: Hast du Zeit?«
    Â»Wofür?«, fragte Sylvia. Sie klang ganz eindeutig erschrocken.
    Â»Nur so. Ich sterbe vor Langeweile, wenn ich ehrlich sein soll.«
Conny versuchte abermals zu lachen, und es klang noch unechter. »Ich kann in
einer halben Stunde bei dir sein.«
    Â»Nein! Ich … ich meine: Ich muss gleich weg. Nur zur Post und ein paar
andere Kleinigkeiten erledigen. Im Moment ist es … ungünstig.«
    Â»Unsinn!«, erwiderte Conny in aufgeräumtem Ton. »Ich lade dich zum
Frühstück ein. Wie ich dich kenne, hast du bisher nur eine halbe Schachtel
Zigaretten und fünf Tassen Kaffee intus. Keine Widerrede. Ich bin in einer
halben Stunde bei dir.« Sie hängte ein, bevor Sylvia noch einmal widersprechen
konnte. Gut eine Minute lang saß sie mit dem Telefon in der Hand da und wartete
darauf, dass es klingelte und Sylvia versuchte, sie unter irgendeinem anderen
Vorwand doch noch abzuwimmeln, doch der Apparat blieb stumm.
    Natürlich musste sie nicht zur Post oder irgendeine andere
unaufschiebbare Erledigung machen. Sie wollte nicht mit ihr sprechen, und nach
dem, was sie gestern auf dem AB gehört hatte,
konnte Conny das sogar verstehen. Wäre es umgekehrt gewesen, hätte sie auch
Angst vor diesem Treffen gehabt.
    Schließlich stellte sie das Telefon zurück und trat noch einmal auf
den winzigen Balkon hinaus, um einen Blick auf die Straße hinunterzuwerfen. Der
Wendeplatz unten vor dem Haus war leer. Offensichtlich war die Belagerung
aufgehoben worden und das Heer weitergezogen, um im Privatleben irgendeines
anderen bedauernswerten Menschen herumzuschnüffeln. Immerhin war die Geschichte
inzwischen drei

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