Unheil
ob sie das wirklich komisch fand. Sie verzog
dennoch die Lippen zu einem flüchtigen Lächeln. Immerhin hatte er etwas gesagt, und das war schon mehr, als sie noch vor einer
halben Stunde überhaupt zu hoffen gewagt hätte.
Das Erstaunlichste war, dass er noch lebte.
Ein Sanitäter in einer rot-orangefarbenen Warnjacke kam auf sie zu,
reichte ihr einen Plastikbecher mit so heiÃem Kaffee, dass sie ihn nur mit den
Fingernägeln halten konnte und trotzdem das Gefühl hatte, glühende Kohlen zu
berühren, und setzte dazu an, etwas zu Trausch zu sagen, klappte den Mund aber
dann hastig wieder zu und trollte sich, als ihn ein vernichtender Blick aus
Trauschs Augen traf. Damit kam er wahrscheinlich noch gut weg, dachte Conny,
während sie vorsichtig an ihrem Kaffee nippte â sie verbesserte sich in
Gedanken: an ihrem Getränk , das Zeug war genauso
scheuÃlich wie heià â dem letzten Arzt, der Trausch eindringlich beschworen
hatte, sich ins Krankenhaus fahren zu lassen, hatte er eine Tracht Prügel
angedroht, und nicht einmal sie war ganz sicher, wie ernst diese Worte gemeint
gewesen waren.
Sie nippte noch einmal an ihrem Becher, verzog angewidert die Lippen
und nahm trotzig einen weiteren und deutlich gröÃeren Schluck, bevor sie sich
demonstrativ suchend umsah.
»Wenn sie den groÃen Boss suchen, der sitzt in seinem Wagen und
brüllt seit zehn Minuten seine Freisprechanlage in Grund und Boden«, sagte
Trausch.
»Ich suche Schwester Drachenzahn«, antwortete Conny mit einer
Kopfbewegung auf den Plastikbecher in ihren Händen. »Die Brühe kann nur von ihr
sein. Wahrscheinlich hat sie sich eingeschlichen, nur um mich zu quälen.« Sie
zog demonstrativ die Augenbrauen zusammen. »Sind chemische Kampfstoffe nicht
schon seit ein paar Jahrzehnten verboten?«
»Vielleicht ist es ja nur Biomüll aus der Klinik«, antwortete er
ernst. »Dafür braucht man keinen Waffenschein.«
»Für diesen Kaffee schon«, antwortete Conny und trank einen weiteren
Schluck. Der Geschmack wurde nicht besser, aber das Koffein oder vielleicht
auch nur die Wärme weckten ganz allmählich wieder ihre Lebensgeister, und
allein das war Grund genug für sie, mittlerweile schon die dritte oder vierte
Tasse davon herunterzuwürgen.
Sie war ehrlich erstaunt gewesen, überhaupt noch einmal aufzuwachen â zumindest an einem Ort, der nicht nur aus Feuer und rot glühenden Zangen und
den Schreien gepeinigter Seelen bestand â und noch sehr viel erstaunter, dies
nicht nur auf der harten Pritsche eines Rettungswagens der Caritas zu tun,
sondern auch in Trauschs Armen ⦠oder doch zumindest fast .
Er hatte sie nicht wirklich in den Armen gehalten, sondern auf der Kante der gegenüberliegenden
Bank gesessen und mit zusammengebissenen Zähnen die Erstversorgung des jungen
Notarztes über sich ergehen lassen, der sich um seinen übel zugerichteten
Bizeps kümmerte. Aber es waren seine Arme gewesen,
die sie fünf Treppen hinab aus dem brennenden Haus und in den Krankenwagen
getragen hatten. Das meiste von dem eingetrocknetem Blut, das ihre Bluse und
die zerrissenen Ãberreste ihrer Jacke besudelte, stammte von ihm.
»Es freut mich, dass Sie beide schon wieder so offensichtlich guter
Laune sind«, sagte eine missmutig klingende Stimme hinter ihnen. Conny hätte
sich nicht umdrehen müssen, um zu wissen, wem sie gehörte. Sie tat es trotzdem,
ebenso wie Trausch, auch wenn seine Bewegung nicht ganz so selbstverständlich
und mühelos wirkte wie gewohnt und von einem unterdrückten Ãchzen begleitet
wurde.
Aus einem Grund, den Conny nicht ganz nachvollziehen konnte, hatte
Eichholz den Wagen durch die seitliche Tür weiter vorne betreten und kam nun
gebückt näher. Der Ausdruck auf seinem Gesicht hielt sie nachhaltig davon ab,
sich danach zu erkundigen. »Wenn Sie vielleicht wenigstens die Güte hätten,
nicht allzu deutlich in die Kamera zu lächeln, die über uns schwebt, wäre ich
Ihnen äuÃerst dankbar.«
Und alle anderen, die im Moment noch auf uns
gerichtet sind, fügte Conny in Gedanken hinzu. Es widerstrebte ihr schon
aus Prinzip, Eichholz zuzustimmen, aber in diesem Punkt sagte er leider die
Wahrheit: Wahrscheinlich waren im Augenblick mindestens hundert Handy-Kameras
auf sie gerichtet, wenn nicht mehr, und ganz bestimmt konnte sie ihr eigenes Gesicht in spätestens einer Stunde
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