Unheil
brach den Bann nicht wirklich; seine Gestalt tauchte
als flackernder Schatten im Halbdunkel hinter der Tür auf, und sie konnte seine
Ungeduld spüren, obwohl sein Gesicht weiter im Schatten verborgen blieb.
Trotzdem musste sie fast all ihre Kraft zusammenraffen, um die Lähmung
abzuschütteln und weiterzugehen.
Es wurde nicht besser. Als sie ihm folgte, hatte sie ganz im
Gegenteil eher das Gefühl, nunmehr ganz körperlich zu erleben, was sie gerade
nur gesehen hatte. Es war, als durchschritte sie einen Vorhang aus unsichtbaren
Spinnenweben, die ihr Gesicht wie ein sanfter klebriger Hauch streiften, und es
schien spürbar kälter zu werden, nachdem sie es getan hatte. Etwas ⦠veränderte sich. Für einen winzigen und doch zeitlosen
Moment schienen sich alle Dimensionen und Winkel zu verschieben, Licht und
Dunkel die Plätze zu tauschen und die Welt in eine Richtung zu kippen, die
nicht sein durfte.
»Alles in Ordnung mit Ihnen?«
Conny nickte, aber die Bewegung wirkte offenbar nicht wirklich
überzeugend, denn Trausch trat mit nun besorgtem Gesichtsausdruck auf sie zu
und streckte die Hand aus, wie um sie zu berühren, schrak dann jedoch wieder
davor zurück.
»Also, wir sind hier. Sehen Sie sich um.« Trausch machte eine
einladende Handbewegung und bemühte sich um einen lockeren Ton, doch nichts
davon war echt. Unter dem aufgesetzten Lächeln in seinen Augen erkannte sie
echte Sorge; eine Erkenntnis, die sie mit einem zwar kurzen, aber sehr
intensiven Gefühl von Dankbarkeit und Wärme erfüllte, obwohl es sie zugleich
auch erschreckte.
»Sieht man es mir so deutlich an?«
Trausch legte den Kopf schräg. »Was?«
»Dass ich mich allmählich frage, ob es wirklich klug war,
hierherzukommen«, hörte sie sich beinahe zu ihrer eigenen Ãberraschung
antworten.
»Man sieht Ihnen eine Menge an«, antwortete Trausch mit einem
flüchtigen Lächeln, das nicht zu deuten war. »Aber ich glaube nicht, dass Sie
wirklich wissen wollen, was.«
»Ich wusste gar nicht, dass Sie so charmant sein können«, antwortete
Conny spitz. Trausch reagierte zwar mit einem knappen, spöttischen Lächeln,
setzte die Farce jedoch nicht fort, sondern wiederholte seine einladende
Handbewegung von gerade.
»Schauen Sie sich um«, sagte er. »Und lassen Sie sich ruhig Zeit.«
»Weil Sie nicht wollen, dass man uns hier sieht?«
»Es gefällt mir hier nicht«, antwortete Trausch kopfschüttelnd. »Ich
bin schon an angenehmeren Orten gewesen.«
Aber vermutlich auch an unangenehmeren, dachte Conny. Trotz allem
wusste sie im Grunde nur sehr wenig über ihn, doch wenn ihm ein Ruf
vorauseilte, dann der, hart im Nehmen zu sein. In jeder anderen Situation hätte
sie über diese Bemerkung vermutlich gelacht; hier und jetzt jagte sie ihr einen
kalten Schauer über den Rücken. Vielleicht, weil er â ohne es zu merken â ganz
genau das ausgesprochen hatte, was sie selbst drauÃen im Hausflur und hier
drinnen noch ungleich deutlicher spürte: dass dies ein schlechter Ort war, kein
Platz, an dem Menschen sein oder gar leben sollten.
Sie sollten nicht hier sein. Niemand sollte hier sein.
»Alles in Ordnung mit Ihnen?«
Conny fuhr sichtbar zusammen und schüttelte hastig den Kopf, als ihr
klar wurde, wie deutlich sich ihre Gedanken (und viel schlimmer noch: ihre Gefühle ) auf ihrem Gesicht widerspiegeln mussten. »Nein«,
sagte sie rasch. »Ich meine: Es ist alles in Ordnung. Nur mit dem Umsehen wird
es vielleicht ein bisschen schwierig.«
Ihre letzten Worte hatten scherzhaft klingen sollen, aber das, was
sie von Trauschs Gesicht erkennen konnte, wirkte nicht amüsiert, sondern eher
noch besorgter. Dann machte er nur eine Bewegung, die irgendwo zwischen einem
Nicken und einem Schulterzucken angesiedelt war, bedeutete ihr zugleich mit
einer Geste, zu bleiben, wo sie war, und verschwand in der fast völligen
Dunkelheit, die hier drinnen herrschte. Etwas schepperte. Zwei oder drei Sekunden
lang hörte sie nur seine vorsichtigen, schlurfenden Schritte, gefolgt vom
typischen Geräusch reiÃenden Papiers und einem Schwall blendend hellem
Sonnenlichtes. Conny konnte gerade noch den Impuls unterdrücken, schützend die
Hand über die Augen zu halten, aber sie musste trotzdem blinzeln und wandte
instinktiv den Kopf ab, während Trausch mit schnellen Bewegungen das schwarze
Papier
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