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Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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dabei wie ein trotziges Kind vor, das im dunklen
Keller pfeift, und sie fühlte sich hinterher auch keineswegs besser, sondern
ganz im Gegenteil irgendwie … unpassend.
    Vielleicht war das sogar das Wort, nach dem sie bisher vergeblich
gesucht hatte. Unpassend. Nichts schien ihr mehr zu passen, vor allem ihr Leben
nicht. Alles entglitt ihr. Ohne zu wissen, warum, oder gar, was sie dagegen tun
sollte, schien ihr bisher so geregeltes und klar überschaubares Leben plötzlich
zu zerfallen wie ein filigranes Kunstwerk aus Glas, das in ihren Händen
zerbrach.
    Nicht aus einem tatsächlichen Bedürfnis heraus, sondern nur, um ihre
Hände zu beschäftigen und überhaupt irgendetwas zu tun, setzte sie die
Kaffeemaschine in Gang und inspizierte den Kühlschrank; allerdings mit dem
erwarteten Ergebnis. Ihre ohnehin selten sehr üppigen Lebensmittelvorräte
aufzufüllen, hatte so ziemlich zu dem Letzten gehört, woran sie in den
vergangenen Tagen gedacht hatte. Jetzt fand sie ein halb volles Glas
Gewürzgurken, einen winzigen Rest steinhart gewordenem Käse und zwei Scheiben
Wurst, die sich an den Rändern bereits sichtbar wellten. Gut, dachte sie, dann
würde es ihren beiden Bodyguards draußen vor der Tür wenigstens nicht allzu
langweilig werden, wenn sie sie heute Abend in den nächsten McDonald’s oder den
Coffeeshop unten an der Ecke begleiteten.
    Erst, als sie diesen Gedanken zu Ende gedacht hatte, bemerkte sie
selbst, was ihre Hände gerade taten. Sie war ans Fenster getreten und dabei,
die Vorhänge zu schließen.
    Conny stand eine geschlagene Minute lang da, starrte ihre Hände an
und fragte sich, was zum Teufel sie da eigentlich tat. Das Sonnenlicht war hell
und stach unangenehm und beinahe schon schmerzhaft in ihre Augen, aber es war
Licht, das Gegenteil der unheimlichen Dunkelheit, die sie gerade in Aislers
Appartement so erschreckt hatte. Sie sollte es suchen, statt sich davor zu
verstecken.
    Sie musste wieder an heute Morgen denken, die schrecklichen Minuten
im Sylvias Wohnung, in denen sie sich trotz allem in der herrschenden Düsternis
beinahe heimisch gefühlt hatte, auf eine fremdartige Weise zu
Hause … so, als verwandele sie sich ganz allmählich in ein Geschöpf der
Dunkelheit. Und auch das war wieder so ein Gedanke, der eigentlich lächerlich
sein sollte; Worte und Gefühle, die nicht zu ihrem Repertoire gehörten und
nicht zu dem Menschen, der sie vor ein paar Tagen noch gewesen war. Was um alles
in der Welt hatte Vlad ihr angetan?
    Das Telefon klingelte. Es war nicht das erste Mal. Während sie unter
der Dusche gestanden hatte, hatte ihr elektronischer Folterknecht ein weiteres
halbes Dutzend Anrufe aufgezeichnet, die sie ebenso geflissentlich ignoriert
hatte wie alle vorherigen, doch jetzt ertappte sie sich dabei, sofort
abzuheben. Selbst der lästigste Journalist der Welt wäre ihr in diesem Moment
wie eine willkommene Abwechslung erschienen.
    Aber es war kein Reporter, der gegen alle Vernunft und Erfahrung
doch noch einmal versuchte, sie zu einem Interview zu überreden. Was sich
meldete, war eine leise Frauenstimme.
    Â»Marianne Schneider. Frau … Feisst?«
    Â»Ja«, antwortete Conny. Marianne Schneider? Zuerst wusste sie mit
diesem Namen nichts anzufangen, und allem Anschein nach hatte die Anruferin das
gespürt, denn ihre Stimme wurde noch unsicherer und klang jetzt beinahe schon
verschüchtert.
    Â»Sie erinnern sich bestimmt nicht an mich«, sagte sie, »ich bin …«
    Â»Theresas Mutter«, unterbrach sie Conny. »Wir haben uns im
Krankenhaus kennengelernt.« Sie runzelte die Stirn. Mit ihren Erinnerungen
schien es tatsächlich nicht mehr zum Besten zu stehen, denn ihr fiel erst jetzt
und im Nachhinein und viel zu spät ein, dass sie ihr in einer Anwandlung von
sentimentalem Mitleid tatsächlich ihre Telefonnummer gegeben hatte.
Üblicherweise stellte sich das als Fehler heraus.
    Â»Es tut mir leid, wenn ich Sie belästige«, fuhr die Anruferin mit
bebender Stimme fort. »Aber Sie waren so freundlich, mir Ihre Hilfe anzubieten,
und ich weiß einfach nicht, was ich tun soll.«
    Â»Was ist passiert?«, fragte Conny.
    Â»Sie ist fort.«
    Â»Was soll das heißen? Ist sie aus dem Krankenhaus weggelaufen?«
    Â»Nein«, antwortete Marianne Schneider. »Sie haben sie heute Morgen
entlassen. Mein Mann und ich haben sie abgeholt.«
    Â»So

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