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Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Aislers
Augen. Sie hatte das unheimliche Gefühl, dass er nicht nur ganz bewusst in die
Kamera blickte, sondern sie ansah; genau wie vor
wenigen Tagen, als sie im Übertragungswagen in der Tiefgarage gesessen und in
seine Augen geblickt hatte …
    Aus keinem anderen Grund als dem, sich selbst zu beruhigen, sagte
sie: »Das ist … verrückt. Als ob er gewollt hätte, dass man ihn erkennt.«
    Trausch gab ein Geräusch von sich, von dem sie nicht sagen konnte,
ob es ein Lachen oder ein verächtliches Schnauben darstellen sollte, löste die
rechte Hand vom Steuer und drückte zielsicher die winzige Pausentaste des
Geräts, ohne auch nur hinzusehen. »Da ist noch etwas«, kündigte er an.
    Conny starrte einen Moment lang Aislers mitten in der Bewegung
eingefrorenes Gesicht auf dem Monitor und dann sehr viel länger ihn an. »Was … meinen
Sie damit?«, fragte sie unsicher.
    Â»Können Sie Lippenlesen?«, fragte er. »Versuchen Sie es. Ist gar
nicht so schwer. Lassen Sie die Aufnahme einfach ein paar Sekunden zurücklaufen
und probieren Sie es.«
    Conny blinzelte ihn noch etliche weitere Sekunden lang
verständnislos an, aber dann tat sie, was er von ihr verlangte.
    Sie benötigte insgesamt vier Versuche, bis sie es geschafft hatte,
die Lippenbewegungen auf dem winzigen Bildschirm richtig zu deuten.
    Und sie wünschte sich beinahe, es wäre ihr nicht gelungen. Sie hatte
sich nicht geirrt. Der erste Eindruck, den sie gehabt hatte, war richtig
gewesen, so bizarr ihr die Vorstellung auch selbst erscheinen mochte. Er sah sie an. Und seine Worte galten ihr.
    Du bist die Nächste, Miststück.

Kapitel 14
    Obwohl
Trausch auf dem letzten Stück jegliche Rücksicht aufgegeben und das Blaulicht
auf das Dach des BMW gesetzt hatte, wären sie
beinahe nicht durchgedrungen. Schon auf der zum Friedhof führenden Straße waren
sie fast nur noch im Schritttempo vorangekommen, und ohne die beherzte
Unterstützung eines guten Dutzends uniformierter Kollegen, die ihnen auf dem
letzten Stück mit mehr oder weniger sanfter Gewalt den Weg frei räumten, hätten
sie es wahrscheinlich gar nicht geschafft.
    Wovor sie niemand beschützen konnte, war das Blitzlichtgewitter, das
den nur noch im Schneckentempo dahinkriechenden Wagen auf dem letzten Stück
begleitete. Conny hatte die Sonnenbrille wieder aufgesetzt und das Kopftuch
weit in die Stirn gezogen, war sich aber selbst darüber im Klaren, wie wenig
das nutzen würde. Spätestens morgen früh würde sie ihr eigenes Konterfei –
wieder einmal – auf den Titelblättern sämtlicher Zeitungen bewundern können;
vermutlich gleich neben dem des auf so wundersame Weise wiederauferstandenen
Vampirs.
    Â»Wir sollten die Kerle auf Tantiemen verklagen«, maulte Trausch,
während er versuchte, den Wagen irgendwie durch die Friedhofseinfahrt zu
bugsieren, ohne dabei mehr als unbedingt nötig Journalisten anzurempeln, die
ihn in Fünferreihen belagerten und ihre Kameras gegen die Scheiben pressten.
»Jedenfalls weiß ich jetzt, wie sich ein jüdischer Rabbi fühlen muss, den es
nach Dunkelwerden in die Altstadt von Bagdad verschlägt.«
    Er tippte ein wenig mehr aufs Gas. Der BMW machte einen – kaum spürbaren – Satz, und wenigstens eine der Kameras auf der
Fahrerseite verschwand. Dafür hüpfte eine fluchende Gestalt auf nur einem Bein
davon, und Trausch gestattete sich ein flüchtiges, grimmiges Lächeln.
    Â»Das ist Behördenwillkür, Kollege«, beschied ihm Conny.
    Â»Keineswegs.« Trausch schüttelte den Kopf und hielt das Lenkrad mit
beiden Händen so fest, als versuche er ein kleines Boot durch einen Sturm mit
fünf Meter hohen Wellen zu steuern. »Das ist Behinderung eines Polizeieinsatzes
und somit strafbar. Ich werde den Kerl auf Schadenersatz verklagen, wenn der
Reifen was abgekriegt hat.«
    Das Blitzlichtgewitter hörte auf, als sie durch das schmiedeeiserne
Tor fuhren und es hinter ihnen geschlossen wurde, aber im Grunde hatte sich
nicht viel geändert, wie sie nur zu gut wusste: Die Kameras, die nun auf sie
gerichtet waren, waren ein gutes Stück weiter entfernt, dafür umso
leistungsfähiger. Conny musste sich nicht einmal umdrehen, um die Armada aus
Übertragungswagen und Kombis zu erkennen, die auf der anderen Seite der
Friedhofsmauer aufgefahren war; und die mindestens doppelt so große Anzahl

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