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Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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sie.
    Â»Die Leichenhalle am Südfriedhof. Wir sind schon auf dem Weg
dorthin.« Trausch lachte humorlos. »Der Kerl war sogar zuvorkommend genug, die
Adresse auf die CD s zu schreiben, die er ans
Fernsehen geschickt hat.«
    Der Schatten am Bildschirmrand bewegte sich stärker und trat dann endgültig
in den Aufnahmebereich der Kamera hinein. Es war eine Gestalt, lang- und
dunkelhaarig wie das gefesselte Opfer am Boden und auf ganz ähnliche Weise
gekleidet. Die Kamera war in einem Winkel unter der Decke angebracht, und der
Neuankömmling hatte den Kopf weit nach vorne gebeugt, sodass Conny sein Gesicht
nicht erkennen konnte, aber sie sah, dass er irgendetwas in der rechten Hand
trug und sich irgendwie … falsch bewegte.
    Das Bild ruckte, und plötzlich kniete die Gestalt auf dem Rücken
ihres Opfers, und etwas halb Durchsichtiges und Schimmerndes stand neben ihm
auf dem Boden.
    Â»Das ist die geschnittene Fassung«, erklärte Trausch. »Das Original
dauert über zehn Minuten. Sie haben es auf anderthalb zusammengeschrumpft … das
ist die Fassung, die sie ausstrahlen werden, sobald wir unser Einverständnis
geben … oder sie der Meinung sind, lange genug darauf gewartet zu haben.«
    Â»Um den Zuschauern das Schlimmste zu ersparen und keinen Ärger mit
den Behörden zu bekommen?«
    Â»Wohl eher, um Sendezeit zu sparen«, sagte Trausch verächtlich. »Sie
wissen doch, dass die Aufmerksamkeit des durchschnittlichen Fernsehzuschauers
nach neunzig Sekunden nachzulassen beginnt.«
    Â»Ich dachte, es wären nur fünfundvierzig«, sagte Conny, und in
diesem Moment griff der Angreifer in die Jackentasche und zog etwas heraus, und
Conny fuhr wie elektrisiert zusammen und sog scharf die Luft zwischen den
Zähnen ein. »Sagen Sie nicht, dass …«
    Â»Ich fürchte doch«, antwortete Trausch düster. »Sehen Sie zu und
genießen Sie die Show.«
    Der nächste Bildschritt zuckte über den winzigen Monitor, und nun
schimmerte etwas an der rechten Hand des Angreifers, das Conny nur zu gut
kannte: Eine dreifache, gekrümmte Raubvogelkralle aus rasiermesserscharf
geschliffenem Eisen.
    Â»Ich habe die ungeschnittene Aufnahme noch nicht gesehen, aber das
Labor sagt, dass er die Hand mindestens dreißig Sekunden lang in die Kamera
gehalten hat«, sagte Trausch.
    Â»Damit man sie auch ganz genau erkennt.« Connys Stimme klang belegt.
Ihr Herz klopfte, und es fiel ihr immer schwerer, das kleine Gerät still zu
halten. Der Angreifer hob seine Raubtierhand jetzt höher und nahm
offensichtlich Schwung, um zuzustoßen, und sein Opfer schien das wohl zu spüren – vielleicht hatte er es ihm auch angekündigt; das Bild war ohne Ton –, denn es
begann sich aus Leibeskräften zu wehren und hin- und herzuwerfen, und
schließlich schlug der Angreifer zu, drehte die Hand dann aber und ballte sie
zur Faust, um sie seinem Opfer mit solcher Gewalt gegen die Schläfe zu hämmern,
dass es benommen zurücksank und seine Gegenwehr einstellte. Dann grub er die
Finger der freien Hand in dessen Haar, zog seinen Kopf zurück und trieb ihm die
Spitzen seiner Eisenkralle in die Halsschlagader. Der nächste Bildschnitt kam,
den Bruchteil einer Sekunde, bevor die Klingen seine Haut wirklich
durchbohrten. Das Nächste, was sie sah, war das in der monochromen Aufnahme
schwarz glitzernde Blut auf den Spitzen der Vampirklaue, und eine gewaltige und
immer noch größer werdende Lache von derselben Farbe unter seinem Gesicht und
seinem Oberkörper.
    Â»Ist das Opfer … tot?«, murmelte sie.
    Â»Was denken Sie denn?«, sagte Trausch düster. »Aber warten Sie ab,
das Beste kommt erst noch.« Er warf einen flüchtigen Blick auf den winzigen
Bildschirm und konzentrierte sich dann wieder darauf, den Wagen durch den immer
dichter werdenden Feierabendverkehr zu steuern. Conny fragte sich, welche
Steigerung jetzt wohl noch folgen sollte, und der Ruck des nächsten Schnitts
huschte über den Monitor und beantwortete ihre Frage.
    Sie blickte in Aislers Gesicht.
    Natürlich wusste sie, dass es vollkommen unmöglich war. Aisler war
tot. Sie war dabei gewesen, als er gestorben war. Sie war ihm nahe genug
gewesen, um sein Sterben zu fühlen . Und doch hatte
die Gestalt auf dem winzigen Bildschirm jetzt den Kopf gehoben und sah direkt
in die Kamera, und er tat es nicht nur mit Aislers Gesicht und aus

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