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Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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waren
steif und verweigerten ihr im ersten Moment den Gehorsam, sodass der oberste
Knopf absprang und mit einem leisen Klimpern auf dem Waschbeckenrand aufschlug
und davonhüpfte. Conny runzelte die Stirn, gab mit einem lautlosen Seufzen auf
und löste das Problem, indem sie die Bluse kurzerhand öffnete, ohne sich um die
übrigen Knöpfe zu kümmern. Sie verteilten sich auf dem Fußboden. Conny warf die
besudelte Bluse hinterher, öffnete den Wandschrank und unterzog ihn einer
raschen Inspektion. Die Handtücher waren sauber, fühlten sich jedoch an, als
lägen sie seit mindestens einem Jahr hier (Männer!), und dasselbe galt mehr
oder weniger für die Kleidung, von der er gesprochen hatte: Alles war sauber
und penibel zusammengelegt, aber schon seit einer geraumen Weile nicht mehr
benutzt. Und noch etwas fiel ihr auf: Trausch hatte behauptet, die Kleider
müssten ihr ungefähr passen, doch sie entsprachen exakt ihrer Größe und auch
hundertprozentig ihrem Geschmack. Anscheinend hatte seine Frau nicht nur dieselbe
Figur wie sie, sondern auch dieselben Vorlieben für Mode. Sie wählte Jeans,
eine einfache weiße Bluse und völlig altmodische, aber sehr bequem aussehende
Sandalen (selbst sie passten wie angegossen), bevor sie sich vollends
entkleidete und der riesigen Badewanne einen sehnsüchtigen Blick zuwarf. Ein
heißes Bad – möglichst in der Größenordnung ab einer Stunde aufwärts – erschien
ihr ungemein verlockend. Sie war allerdings auch sehr sicher, dass sie
einschlafen würde, gäbe sie dieser Verlockung nach. Schweren Herzens wählte sie
stattdessen die Dusche, fummelte ungeschickt an den Knöpfen herum, mit denen
man die Temperatur einstellen konnte, und trat schließlich resignierend unter
den viel zu heißen Strahl.
    Eine Stunde darunter stehen zu bleiben wäre fast genauso verlockend
gewesen, wie sich in einer Wanne mit heißem Wasser zu aalen, aber Conny beließ
es bei knappen fünf Minuten. Danach kasteite sie sich ein zweites Mal, indem
sie sich mit einem der zwar tatsächlich sauberen, wenn auch brettharten
Handtücher abrubbelte. Bevor sie sich anzog, trat sie noch einmal ans
Waschbecken und wischte den beschlagenen Spiegel darüber sauber.
    Anscheinend war es der Tag der Überraschungen, denn sie erlebte
schon wieder eine, als sie in den Spiegel sah.
    Nach einem Tag wie heute hatte sie nicht erwartet, wie das blühende
Leben auszusehen, und natürlich tat sie das auch nicht. Ihr Gesicht wirkte
erschöpft und abgespannt. Unter ihren Augen lagen dunkle Ringe, und in ihnen
sowie um ihren Mund entdeckte sie eine neue Härte, deren Anblick sie zu jedem
anderen Zeitpunkt erschreckt hätte. Sie sah müde aus und ziemlich erschöpft,
wie nach einem langen, anstrengenden Arbeitstag, und sie fühlte sich auch so … aber
das war auch alles. Ihre Haut hatte keinen Kratzer.
    Conny blinzelte ein paarmal – das Bild blieb –, hob die Hände vors
Gesicht und betrachtete jeden einzelnen Finger zuerst direkt, dann im Spiegel
und dann wieder mit ihren eigenen Augen, dann trat sie zwei Schritte zurück und
besah sich zur Gänze im Spiegel, soweit das in dem winzigen Ding möglich war.
Das Ergebnis war dasselbe: Ihre Haut war rot von dem viel zu heißen Wasser, mit
dem sie geduscht hatte, aber darüber hinaus vollkommen unversehrt. Wie es
aussah, hatte sie die schlimmste Tracht Prügel ihres Lebens kassiert (und das gleich
zweimal), ohne auch nur eine einzige Schramme davongetragen zu haben.
Glückskind.
    Â»Wenn Sie dann so weit wären«, drang Trauschs Stimme ungeduldig
durch die Tür. »Der Kaffee ist fertig.«
    Â»Ich auch«, antwortete Conny. »Noch eine Minute!«
    Es wurden zwei daraus, bis sie sich angezogen und eines der
Handtücher als improvisierten Turban um ihr nasses Haar gewunden hatte, dann
verließ sie das Bad und folgte dem verlockenden Duft von frisch aufgebrühtem
Kaffee bis zu einer Tür am anderen Ende des Flurs. Sie hatte eine Küche
erwartet, trat stattdessen jedoch in ein großzügiges Studio mit einer
Dachschräge auf einer Seite, die nahezu vollkommen aus Glas bestand. Die
Einrichtung unterschied sich wohltuend von der des Kaminzimmers unten – nicht
supermodern oder außergewöhnlich luxuriös, sondern einfach nur normal – und
hier roch es nicht nach Terpentin und Latexfarbe und alten Socken,

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