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Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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zu
betrachten. Seltsam – ihr war noch nie zuvor so deutlich aufgefallen, wie
elegant und zugleich kraftvoll er sich bewegte. Der Tag, der hinter ihm lag,
war fast so anstrengend gewesen wie ihr eigener, und er war kein junger Mann
mehr und sollte eigentlich jeden einzelnen Schritt, den er heute getan hatte
(von allem anderen gar nicht zu reden), in den Knochen spüren. Wahrscheinlich
tat er es, aber anzumerken war ihm davon nichts. Ganz im Gegenteil: Selbst
etwas so Banales wie das Emporgehen einer Treppe schien bei ihm zu etwas wie
einem Tanz zu werden. Sie glaubte das Spiel seiner kraftvollen Muskeln unter
seiner Kleidung sehen zu können, die mühelose Selbstverständlichkeit, mit der er …
    Das war genug. Sie war hier, um zur Ruhe zu kommen und vielleicht
mit Trausch ihr weiteres Vorgehen zu besprechen, vielleicht auch den Dämonen
der Einsamkeit zu entkommen, die in ihrer leeren Wohnung auf sie lauerten, aber mehr auch nicht.
    Oben angekommen, betraten sie eine andere Welt. Der Geruch nach
frischer Farbe wurde nicht nur noch einmal intensiver, sondern auch durch den
Anblick einer Aluminiumleiter und einer Anzahl Farbeimer unter einer
bekleckerten Plastikfolie komplettiert, die eine wunderschöne Stolperfalle
abgegeben hätten, hätte Trausch auch hier oben darauf verzichtet, das Licht
einzuschalten. Die Tapeten auf der linken Seite des Flurs waren alt und
ausgeblichen, zerfranste Textiltapeten mit Rosen- und Efeumuster, auf der
anderen Seite weiße Raufaser, die Trausch offenbar selbst angestrichen hatte;
einschließlich Teile der Stuckdecke und der antiken Facettentüren. Conny
runzelte die Stirn, und Trausch, der anscheinend Augen im Hinterkopf hatte
(vielleicht war er diese Reaktion auch einfach von jedem seiner Besucher
gewohnt), sagte: »Wie gesagt: Das große Buch des kleinen Heimwerkers muss ich
mir erst noch kaufen.«
    Â»Ich schenke es Ihnen. Nach allem, was Sie heute für mich getan
haben, ist das das Mindeste, was ich Ihnen schuldig bin.«
    Â»Und Sie glauben, so billig kommen Sie davon?« Trausch schüttelte
lachend den Kopf und deutete zugleich auf eine von zahlreichen Türen auf der
linken Seite. »Da ist das Bad. Machen sie sich frisch, wenn Sie wollen. Ich
kümmere mich inzwischen um den Kaffee.«
    Damit wandte er sich auf dem Absatz um und verschwand ohne ein
weiteres Wort durch eine der anderen Türen. Conny blieb ein wenig hilflos
zurück, hob schließlich nur die Schultern und steuerte die Tür an, die er ihr
bedeutet hatte.
    Dahinter lag ein ganz normales, wenn auch sehr großes Badezimmer,
das einen ebenso unbelebten Eindruck machte wie alles, was sie bisher von
diesem Haus gesehen hatte: Alles wirkte sehr sauber und aufgeräumt, aber auf
eine sonderbar unbenutzte Art, als hätte jemand dieses Zimmer irgendwann einmal
liebevoll eingerichtet und seither nie wieder betreten. Auch hier lag ein
leichter Geruch nach frischer Farbe und Terpentin in der Luft, wenn auch nicht
annähernd so penetrant wie im Flur, aber es hätte des kundigen Blicks einer
Polizistin nicht gebraucht, um ihr den feinen Staub auf dem Acryl der Badewanne
zu zeigen, die blinde Schicht auf dem Spiegelschrank und den kaum mehr
vorhandenen Glanz der Fliesen. Dieses Bad war seit mindestens einem Jahr nicht
mehr benutzt worden. Trausch, dachte sie, war entweder ein verkappter
Schmutzfink, oder es gab noch eine Menge anderer Fragen, die mit ihm
zusammenhingen …
    Oder ein zweites Bad, fügte sie in Gedanken hinzu.
    Es klopfte, und Trauschs Stimme drang gedämpft durch das dicke Holz
der Tür. »Im Wandschrank sind Handtücher und ein paar Sachen von meiner Frau,
die Ihnen passen müssten. Bedienen Sie sich.«
    Frage Nummer drei (oder eigentlich eins): Wo waren eigentlich seine
Frau und seine Kinder, von denen ihre Kollegen ununterbrochen sprachen?
    Conny legte auch diese Frage auf den allmählich immer größer
werdenden Stapel mit Punkten, auf die sie Trausch unbedingt ansprechen musste,
hob mit einem angedeuteten Seufzen die Schultern und streckte die Hand nach dem
Schlüssel aus, nur um festzustellen, dass es keinen gab.
    Also gut, dann würde sie Trausch eben vertrauen müssen. Nicht, dass
es ihr etwas ausgemacht hätte, wenn er dieses Vertrauen ausnützte, aber …
    Conny würgte auch diesen Gedanken mit einem leisen Anflug von
schlechtem Gewissen ab und begann ihre Bluse aufzuknöpfen. Ihre Finger

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