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Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Wecker. Auf
Conny traf nichts von beidem zu. Obwohl sie die Augen weiter geschlossen hielt,
empfand sie schon das schwache, blassrosa Licht, das durch ihre Lider drang,
als unangenehm. Dazu ein fauler Geruch, aber sie war nicht in der Stimmung und
auch nicht bereit, irgendetwas Unangenehmes an sich herankommen zu lassen, und
schob den Gedanken von sich.
    Conny war weit davon entfernt, der typische Morgenmuffel zu sein,
wenn sie sich selbst auch niemals als Frühaufsteherin bezeichnet hätte, sondern
als irgendetwas dazwischen. Auch zu Zeiten, in denen sie noch keinen Grund
gehabt hatte, den Blick in den Spiegel zu fürchten, war sie ihm in den ersten
fünf oder zehn Minuten wohlweislich ausgewichen, und wenn es ihr geplanter
Tagesablauf und ihr Dienstplan zuließen (und manchmal auch, wenn nicht), dann
genoss sie es, noch eine Weile einfach liegen zu bleiben und ganz allmählich in
die Realität herüberzudämmern.
    Heute sollte sie es eigentlich ganz besonders genießen, dachte sie.
Die vergangene Nacht war … nun ja, außergewöhnlich gewesen. Trausch hatte ziemlich überrascht auf ihr sehr eindeutiges Angebot
reagiert, trotzdem aber nur zwei oder drei Sekunden gezögert, und er hatte sich
auch kein zweites Mal bitten lassen (was sie ohnehin nicht getan hätte),
sondern war nur noch einmal kurz im Bad verschwunden und dann zu ihr
hereingekommen. Sie hatten sich zweimal geliebt, das erste Mal scheu und
schüchtern, wie zwei Teenager, die sich das erste Mal in diese neue, ebenso
unbekannte wie aufregende Welt vortasteten, das zweite Mal zunächst mit viel
Geduld und noch größerer Zärtlichkeit, dann ebenso wild und beinahe gierig
fordernd, wie sie es von sich erwartet hatte, nach so langer Zeit, die es
diesen Teil des Lebens für sie nicht mehr gegeben hatte.
    Sie hatte sich eingeredet, dass er ihr nicht fehlte, und solange es
niemanden in ihrem Leben gegeben hatte, war das auch tatsächlich so gewesen.
Aber jetzt, wo sie die Welt der Sinnlichkeit wieder und neu zu entdecken
begann, hatte sie begriffen, wie sehr sie ihr tatsächlich gefehlt hatte. Es war nicht einmal sosehr der körperliche Teil gewesen, der
reine Sex (den sie über die Maßen genossen hatte und ganz bestimmt noch einmal
genießen würde, bevor Trausch und sie das Haus verließen und sich wieder der
Realität stellten, dachte sie voller kribbelnder Vorfreude), sondern vielmehr
das Gefühl der Nähe, das Wissen um einen anderen, lebenden Menschen neben sich,
das ihr eine Geborgenheit und einen Schutz vermittelte, von der sie gar nicht
gewusst hatte, wie sehr sie sie wirklich vermisste. Trausch hatte sich nicht
einmal als sensationell guter Liebhaber erwiesen, sondern allenfalls als guter
Durchschnitt (soweit sie das mit ihrem beschränkten Erfahrungsschatz beurteilen
konnte), aber auch das spielte überhaupt keine Rolle. Sie hatte ihn nicht in
ihr Bett eingeladen, um artistische Kunststücke zu erleben oder einen
Super-Orgasmus, von dem sie ihren besten Freundinnen erzählen konnte, die es
niemals geben würde, sondern weil sie sich nach Wärme und Zärtlichkeit sehnte,
und davon hatte er ihr mehr gegeben, als sie zu hoffen gewagt hatte.
    Conny drehte den Kopf ins Kissen, um dem quälenden Licht zu
entkommen, das hartnäckig weiter versuchte, ihre Lider zu durchdringen, machte
die Augen jedoch immer noch nicht auf, sondern entspannte sich und genoss das
Gefühl, einfach gar nichts zu tun; sich in Sicherheit und beschützt zu wissen
und als einzige intensive Erinnerung die an seine warmen und kraftvollen Hände
zu haben, die ihren Körper streichelten und jeden Zentimeter davon mit
geduldiger Zärtlichkeit erforschten.
    Natürlich wusste sie, dass es nicht so kommen würde – doch dann
leistete sie sich den kleinen Luxus, ihre Phantasie von den Zügeln zu lassen
und sich vorzustellen, wie ihr Leben möglicherweise nach dieser Nacht aussehen
könnte: Sie waren beide einsam. Sie hatten beide niemanden, auf den sie
Rücksicht nehmen mussten oder der ihnen gar etwas bedeutete, und spätestens
seit dem vergangenen Abend wusste sie auch, dass es dann noch eine und
vielleicht sogar die größte Gemeinsamkeit zwischen ihnen gab. Trausch erwartete
so wenig wie sie noch irgendetwas von der Zukunft, und es waren seine Worte
gewesen, die ihr die Augen geöffnet und ihr klargemacht hatten, dass es ihr
nicht anders erging. Was, dachte sie, und

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