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Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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die vollkommene Gewissheit, dass es
niemals so kommen würde, änderte nichts an dem Gefühl behaglicher Wärme und
Geborgenheit, das sie dabei durchströmte – was, wenn sie sich einfach
zusammentaten? Wenn es nicht nur bei dieser einen Nacht und diesem Morgen
bliebe, sondern mehr daraus wurde; vielleicht ein ganzes Leben?
    Der für Logik und Realität zuständige Teil in ihr, der zu Connys
großem Verdruss offensichtlich schon hellwach und überaus geschwätzig war,
versuchte ihr zu erklären, wie dünn das Eis war, auf dem sie sich bewegte:
Natürlich würde es so nicht kommen. Trausch und sie kannten sich praktisch
nicht. Auch, wenn sie nicht darüber gesprochen hatten, so hatte sie doch
gespürt, dass es für ihn mindestens ebenso neu und selten gewesen war wie für
sie. Auch er war ausgehungert nach Liebe und Wärme, und auch für ihn hatte es
viel zu lange niemanden mehr gegeben, der ihm so nahe gewesen war.
    Obwohl sie es nicht wollte und sich beinahe selbst dafür hasste,
erforschte sie diesen Gedanken weiter. Die Erkenntnis stimmte sie traurig, aber
sie glaubte nicht, dass da wirklich etwas wie Liebe zwischen ihnen war. Es gab
ein sonderbar kompliziertes, kaum in Worte zu fassendes Gefühl. Conny gestand
sich ein, dass es sich dabei um etwas anderes handelte; Zuneigung und Sympathie
sicherlich, und eine tiefe, ehrlich empfundene Dankbarkeit. Er war seit viel zu
langer Zeit einfach der erste Mensch gewesen, der es gut mit ihr meinte und der
sie einfach und ohne Hintergedanken und Heimtücke so nahe an sich herangelassen
hatte. Dennoch blieb er ein Fremder, jetzt vielleicht sogar mehr denn je.
Dieses Haus und noch viel mehr das, was er über sich erzählt hatte, waren so
vollkommen anders als das, was sie erwartet hätte, dass sie sich fragte, ob es
überhaupt jemanden gab, der ihn wirklich kannte.
    Und wahrscheinlich erging es ihm andersherum ganz genauso. Sie waren
einfach zwei Menschen, die viel zu lange allein gewesen waren und jemanden
gebraucht hatten, der nicht ihr Feind war. Sie würden Freunde bleiben, dessen
war sich Conny sicher, möglicherweise auch ein bisschen mehr, aber eben nur ein
bisschen. Und eigentlich war das auch in Ordnung.
    Darüber hinaus berührten diese Erinnerungen auch noch etwas anderes
in ihr; einen Teil, dessen bloße Existenz sie noch vor wenigen Stunden empört
abgestritten hätte. Er lag neben ihr. Obwohl sie den Kopf in die andere
Richtung gedreht und die Augen immer noch geschlossen hatte, konnte sie seine
Nähe spüren. Er schlief so fest, dass sie nicht einmal seine Atemzüge hörte, aber
er war da. Ihre nackte Schulter berührte die Decke, in die er sich irgendwann
tief in der Nacht im Schlaf eingedreht hatte, und schon diese flüchtige
Berührung jagte ihr einen sanften Schauer über den ganzen Körper. Ein Gefühl
kribbelnder Wärme begann sich in ihrem Schoß breitzumachen, und ihr Herz
klopfte ein wenig schneller. Conny öffnete nun doch die Augen – widerwillig und
mit leicht zusammengebissenen Zähnen, das Sonnenlicht war unnatürlich grell und
schien ihre Sehnerven mit winzigen, glühenden Nadeln zu malträtieren – sah auf
die Armbanduhr, die alles war, was sie trug und stellte mit einem Gefühl leiser
Überraschung fest, dass es beinahe neun war. Sie hatte verschlafen, was sie
selbst angesichts des Tages, der hinter ihr gelegen hatte, kein bisschen
erstaunte, bei Trausch jedoch vollkommen überraschte. Trausch und verschlafen,
das passte einfach nicht zusammen. Andererseits, dachte sie amüsiert, hatte sie
schließlich auch ihr Möglichstes getan, um ihn zu erschöpfen.
    Aber schließlich gab es ja auch noch den einen oder anderen Weg, um
ihn auch ebenso schnell wieder aufzuwecken.
    Conny setzte sich auf, ließ dabei die Decke von den Schultern
gleiten und rekelte sich ebenso ausgiebig wie vermutlich umsonst; schließlich
schlief er und bekam von dieser gekonnten Vorstellung nichts mit. Man konnte
allerdings nie wissen …
    Sie beließ es für eine oder zwei Sekunden einfach dabei und genoss
ohne die Spur eines schlechten Gewissens das wohlige Kribbeln, das sie schon
bei der bloßen Vorstellung durchströmte, dann drehte sie sich um, erhob sich
auf die Knie und betrachtete ihn für etliche weitere Sekunden ebenso wortlos
wie zärtlich. Er hatte sich wie ein erschöpft schlafendes Kind in die Decke
gedreht

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