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Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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grauem Haar eingerahmtes, müdes
Gesicht, sah noch einmal auf die Uhr und begriff ohne die geringste Spur von
Überraschung, dass es natürlich eine Erinnerung gab, die von der sonderbaren
Taubheit ihrer Gefühle ausgenommen war. Sie antwortete nicht.
    Â»Ich frage nur, weil Sie zum vierten Mal auf die Uhr gesehen haben,
und das allein, seit ich hereingekommen bin«, fuhr Eichholz fort. Diesmal
schien er gar nicht mehr mit einer Antwort gerechnet zu haben, denn er setzte
sich neben sie, sah sie nachdenklich an und starrte dann deutlich länger
einfach zu Boden. Schließlich seufzte er tief, zog eine Packung Zigaretten aus
der Tasche und hielt sie ihr hin. Conny schüttelte stumm den Kopf, und Eichholz
bediente sich selbst, ließ ein schweres goldenes Feuerzeug aufschnappen und
nahm einen genießerischen Zug. »Eine schreckliche Angewohnheit, ich weiß«,
sagte er mit geschlossenen Augen und unüberhörbar genussvoller Stimme. »Ich
bewundere Sie, dass Sie es geschafft haben, so einfach von einem Tag auf den
anderen damit aufzuhören, ehrlich. Ich nehme nicht an, dass Sie mir den Trick
verraten möchten?« Er nahm einen weiteren Zug, sah sie auffordernd an und hob
schließlich andeutungsweise die Schultern.
    Â»Na ja, so wichtig ist das ja eigentlich auch nicht. Wann genau
haben Sie noch einmal damit aufgehört? Vor ein paar Tagen, nicht wahr?« Er
hielt ihr noch einmal die offene Packung hin, und diesmal verzichtete Conny
sogar auf ein Kopfschütteln und starrte ihn nur an.
    Â»Was ist passiert?«, fragte er.
    Â»Ich weiß es nicht.« Connys Stimme klang in ihren eigenen Ohren
spröde, und auf eine erschreckende Weise leblos. Etwas fehlte darin.
    Â»Ich verstehe«, seufzte Eichholz. »Also gut, versuchen wir es
anders. Sie sind gestern Abend hierhergekommen. Was haben sie dann getan?«
    Â»Miteinander geredet«, antwortete Conny. Eigentlich wollte sie ihm
nicht antworten, weder ihm noch sonst irgendjemandem. Was sollte Reden jetzt
noch nutzen?
    Â»Geredet«, wiederholte Eichholz nachdenklich. »Worüber?«
    Â»Ãœber alles Mögliche. Privates.« Sie wollte immer noch nicht reden,
nicht über ihn und schon gar nicht über Trausch, aber sie wusste auch, dass er
nicht lockerlassen würde. »Über dieses Haus, seine Familie …«
    Â»Und dann?«
    Â»Trausch hat für uns gekocht. Ich weiß nicht was, nur, dass es ganz
ausgezeichnet war.«
    Eichholz lächelte flüchtig. Es wirkte ehrlich. »Ja, das glaube ich
Ihnen sofort. Er ist … er war … ein ausgezeichneter Koch.
Er hat immer behauptet, es wäre nur ein Hobby. Wenn Sie mich fragen, dann hat
es bei ihm allerdings besser geschmeckt als in den meisten Restaurants, die ich
kenne.« Er sog wieder an seiner Zigarette. »Und danach?«
    Â»Haben wir ein Glas Wein getrunken und noch ein wenig geredet«,
erwiderte Conny. Es war seltsam – mit einem Male war sie Eichholz fast dankbar.
Irgendwie hatte sein unerwünschtes Erscheinen den Bann gebrochen, ohne dass sie
es auch nur selbst gemerkt hätte. Bisher hatte sie sich jedes einzelne Wort
mühsam abringen müssen und nicht wirklich eingesehen, warum sie mit ihm oder
irgendjemandem sprechen sollte, doch nun schien es, als fände sie ganz
allmählich in die Wirklichkeit zurück. Sie wollte auch das nicht, aber was sie wollte,
zählte schon lange nicht mehr. »Nichts was den Fall betrifft oder die Opfer
oder überhaupt unseren Beruf. Nur privat.« Sie lachte leise und hart. »Er hat
sich noch über die beiden Kollegen lustig gemacht, die Sie uns draußen vor die
Tür gestellt haben.«
    Eichholz sah sie an, als würde er gar nicht verstehen, wovon sie
sprach, ging jedoch nicht weiter darauf ein. »Und dann sind Sie schlafen
gegangen«, vermutete er. »Allein?«
    Conny blickte demonstrativ an sich hinab. Alles, was sie trug, waren
Trauschs mindestens zwanzig Jahre alter Bademantel und ein Paar Handschellen.
Zum ersten Mal fragte sie sich, warum man sie ihr überhaupt angelegt hatte.
Aber eigentlich interessierte sie die Antwort auch nicht wirklich. »Ich wüsste
nicht, was Sie das angeht«, sagte sie. »Trotzdem: nein.«
    Â»Ein Mensch ist tot, Frau Feisst«, antwortete Eichholz, wobei es ihm
irgendwie gelang, gleichzeitig sanft als auch genauso überheblich und scharf
wie gewohnt zu klingen. »Ein Kollege. Ein Mann, den wir alle

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