Unheil
wollte nichts mehr, als die Klinke herunterdrücken und aus
diesem Raum und aus seiner Nähe fliehen, aber sie stand einfach weiter wie
gelähmt da. Er hatte Macht über sie. Jetzt mehr denn
je.
»Du bist jetzt aufgewühlt und durcheinander«, fuhr Vlad fort. »Der
Schmerz über den Verlust deines Freundes sitzt noch zu tief in dir. Ich kann
dich verstehen. Ich würde dir gerne mehr Zeit zugestehen, um deinen Schmerz zu
überwinden; und zu erkennen, dass er nicht dein Feind ist.«
Conny drückte die Klinke endgültig herunter, doch die Tür rührte
sich nicht. SchlieÃlich hatte sie sie ja selbst abgeschlossen. Widerstrebend
drehte sie sich noch einmal zu dem Phantom um, das sie sich selbst geschickt
hatte. »Wer?«
»Der Schmerz«, erwiderte Vlad. »Du fürchtest ihn, wie die meisten,
und du erliegst demselben Irrtum wie die meisten. Es gibt keinen Grund, den
Schmerz zu fürchten. Er ist nicht unser Feind, sondern unser Freund. Vielleicht
unser verlässlichster Freund.«
»Quälen Sie mich deshalb so?«
»Quälen?« Vlad sah ein wenig betrübt aus. »Wenn du das wirklich
glaubst, dann hast du immer noch nicht verstanden, wohin du gehörst.«
»Jedenfalls nicht hierher«, antwortete Conny. »Nicht in Ihre Nähe.«
Es klopfte. Conny reagierte nicht darauf, aber das Klopfen
wiederholte sich nach kaum einer Sekunde, und als sie auch darauf nicht
reagierte, drang die Stimme des jungen Streifenbeamten gedämpft durch die Tür.
»Ist bei Ihnen alles in Ordnung?«
Sie sollte darauf antworten, das war ihr klar. Doch sie konnte es
nicht. Sie sah Vlad an, und er erwiderte ihren Blick schweigend und auf eine
sonderbare Art, die ihr irgendwie das Gefühl gab, dass es vernünftiger wäre,
Angst davor zu haben, ohne dass sie sich wirklich einstellte.
»Deine Zeit läuft ab, Conny«, sagte er schlieÃlich. Conny war nicht
ganz sicher, ob sich seine Lippen dabei bewegten oder sie die Stimme nur in
ihrem Kopf hörte. Das Phantom verlor allmählich an Glaubwürdigkeit. Ihre
Phantasie begann schlampig zu werden. »Es widerstrebt mir zutiefst, dich unter
Druck zu setzen, doch ich fürchte, mir bleibt keine andere Wahl. Du musst dich
entscheiden.«
»Wozu?«
»Welchen Weg du beschreiten willst. Den der Schwachen und Verlierer,
oder den richtigen.«
»Wie wäre es mit meinem eigenen?«, fragte Conny bitter. Die
Situation kam ihr immer absurder vor. Stand sie wirklich hier und sprach mit
sich selbst?
»Du kennst die Antwort auf diese Frage«, sagte Vlad. Er klang fast
ein bisschen resignierend.
Conny wollte etwas erwidern, wurde jedoch unterbrochen. »Ist alles
in Ordnung dort drinnen?«, drang die Stimme des jungen Polizisten zum zweiten
Mal durch die geschlossene Tür. Obwohl das dicke Holz ihr den GroÃteil der
Lautstärke und Tiefe nahm, spürte Conny doch die Nervosität ihres Besitzers.
Vlad sah sie weiter an und lächelte traurig; auf eine Art, als verberge sich
hinter diesem Lächeln ein Wissen um Dinge, von denen er gehofft hatte, dass
auch sie sie wüsste. »Lass ihn nicht zu lange warten«, fuhr er schlieÃlich und
mit einer Geste auf die geschlossene Tür hinter ihrem Rücken fort, lächelte
dann noch einmal und irgendwie noch resignierender und fügte mit leiser Stimme
hinzu: »Obwohl es wahrscheinlich keinen Unterschied mehr macht. Er belügt
dich.«
»Was meinen Sie damit?« Conny war nicht einmal ganz sicher, von wem
er überhaupt sprach.
»Er belügt dich«, sagte Vlad nur noch einmal. »Aber das weiÃt du,
nicht wahr?«
Es klopfte zum dritten Mal, und diesmal hörte es sich eindeutig
ungeduldiger an, fast schon ein bisschen drohend. »Es wird jetzt wirklich
Zeit«, fuhr die gedämpfte Stimme fort. »Bitte beeilen Sie sich.«
Sie war vielleicht seit drei Minuten hier drinnen. Ein Teil von ihr,
der noch zu der Conny von gestern gehörte und unbeeindruckt von all dem
Entsetzen und Schrecken geblieben war, das dieser neue Tag gebracht hatte,
ärgerte sich über die Unverschämtheit des Burschen, aber das Gefühl war schwach
und verebbte zusehends; so, wie vermutlich alles, was von der alten Conny übrig
geblieben war, schwächer werden und mehr und mehr verblassen würde, bis es
nicht mehr da war. Der Gedanke sollte sie erschrecken, tat es jedoch nicht.
Sie wandte sich noch einmal an das
Weitere Kostenlose Bücher